00:00:08 Einführung in Flowcasting und seine Ursprünge.
00:02:04 Gegenüberstellung von Flowcasting und traditionellen Versorgungstechniken.
00:04:40 Relevanz und Herausforderungen von Flowcasting heute.
00:06:06 Analyse des Scheiterns von Flowcasting und der benötigten Einsichten.
00:07:06 Wie Stochastizität Flowcasting zum Scheitern bringen kann.
00:08:06 Begrenzungen der fraktionierten Nachfrageprognose.
00:10:15 Praktische Implementierung und das Scheitern von Flowcasting.
00:11:13 Positive Erkenntnisse aus Flowcasting: disaggregierte Nachfragedaten.
00:13:46 Flowcastings ganzheitlicher Ansatz zur supply chain Optimierung.
00:15:14 Unterschied zwischen Flowcasting und Lokads Ansatz.
00:17:31 Komplexitäten spezifischer supply chain Szenarien.
00:19:37 Prognosen zu zukünftigen Trends in AI-Implementierungen.
00:21:43 Wert des Flowcasting-Buchs trotz Mängeln.

Summary

Im Interview diskutiert Joannes Vermorel, der Gründer von Lokad, die Stärken und Schwächen von Flowcasting, einer Methode der supply chain Planung. Er schätzt den Fokus auf nachfragezentrierte, disaggregierte Prognosen und Automatisierung, kritisiert jedoch den deterministischen Ansatz, der die Zufälligkeiten in der supply chain nicht berücksichtigt. Lokad versucht, diese Komplexitäten mit einer Programmiersprache namens Envision zu bewältigen, doch Vermorel räumt ein, dass kein System die Feinheiten der supply chain vollständig abbilden kann. Vermorel ist auch skeptisch gegenüber der Rolle von AI im supply chain management, wobei er zwischen AI als angesagtem Schlagwort und den realen algorithmischen Techniken unterscheidet. Trotz der Mängel erkennt er den Wert der Einsichten an, die Flowcasting in das Retail Supply Chain Management bietet.

Extended Summary

Im Interview diskutieren Moderator Kieran Chandler und Joannes Vermorel, der Gründer von Lokad, die Technik des Flowcasting im Kontext der nachfragegetriebenen supply chain Planung. Eingeführt in einem 2006 erschienenen Buch mit demselben Namen, wird Flowcasting als der “Heilige Gral” dieses Bereichs angesehen, da es optimale Effizienz verspricht, indem es nur am Point of Sale prognostiziert werden muss.

Flowcasting richtet sich an Retail-Netzwerke. Vermorel erklärt das Kernprinzip wie folgt: Prognostiziere jedes einzelne Produkt an jedem einzelnen Standort, jeden Tag, und strebe nach der höchstmöglichen Genauigkeit. Das umfassende Bild, das aus diesen Prognosen entsteht, ermöglicht die Rekonstruktion aller notwendigen supply chain decisions. Die Vision von Flowcasting birgt wertvolle Einsichten, da sie betont, so nah wie möglich an der Nachfrage zu sein – ein Faktor, der in älteren Techniken nicht priorisiert wurde. Zudem wird der individuelle Produktverkauf pro Store bewertet, anstatt in aggregierten Clustern, was ein disaggregierterer Ansatz ist im Vergleich zur kategorienweisen, top-down Prognose, die damals vorherrschte.

Die Umsetzung von Flowcasting erweist sich jedoch als eine ganz andere Geschichte. Vermorel stellt fest, dass es “nie wie erwartet funktioniert”. Einzelhandelsnetzwerke, die versuchen, dieses theoretische Konzept zu realisieren, finden es “brutal funktionsunfähig”. Die Hauptursache wird in der völligen Missachtung des Konzepts der “Stochastizität” gesehen – der inhärenten Zufälligkeit der Produktverkäufe auf Store-Ebene.

Flowcasting stützt sich auf deterministische Prognosen, in der Annahme, dass man mit absoluter Sicherheit die genaue Menge eines Produkts, die in der Zukunft verkauft wird, vorhersagen kann. Es gelingt nicht, die inhärente Zufälligkeit der realen Einzelhandelsverkäufe und die fraktionierte Nachfrage auf Produktebene pro Tag zu berücksichtigen. Dieser unrealistische Ansatz macht die Prognosen wirkungslos. Kritischer noch: Er führt zum Ausschluss von economic drivers, die entscheidend sind, um Risiken auszugleichen, aus den supply chain Optimierungsprozessen und destabilisierte so die Strategie.

Auf die Frage nach den praktischen Konsequenzen der Implementierung von Flowcasting gibt Vermorel zu, dass in seiner Erfahrung die ihm bekannten Einzelhandelsnetzwerke aufgrund der genannten Komplikationen niemals über die Prototyp-Stufe hinauskommen. Daher betont das Interview, dass es notwendig ist, sich mit den inhärenten Einschränkungen und der Realität der supply chain Stochastizität auseinanderzusetzen, um Flowcasting in einer realen Einzelhandelsumgebung effektiv zu operationalisieren.

Ein kritischer Gesprächspunkt betrifft “flowcasting”, eine bekannte supply chain Technik. Trotz der Herausforderungen räumt Vermorel ein, dass flowcasting wertvolle Einsichten bietet. Er betont den Ansatz der Technik, so nah wie möglich an der Nachfrage auf der disaggregiertesten Ebene zu agieren. Die disaggregierteste Ebene, so betont Vermorel, sei nicht pro Produkt, pro Store, sondern jede verkaufte Einheit an einzelne Kunden. Diese Erkenntnis führt seiner Meinung nach zum Konzept von Zeitdiagrammen über time series, bei denen die Identitäten der Kunden und ihr Kaufverhalten berücksichtigt werden.

Darüber hinaus schätzt Vermorel die Betonung der Automatisierung bei flowcasting und besteht darauf, dass auch Lokad diese Strategie verfolgt. Er erklärt die Vorteile täglicher Datenaktualisierungen und bemerkt, dass das Unterlassen zu unnötiger Komplexität und verpassten Gelegenheiten führt, da man mit veralteten Daten arbeitet. Diese unnötige Komplexität sei, so sagt er, unsinnig und eine Verschwendung von Ressourcen.

Die nächste Erkenntnis, die Vermorel aus flowcasting gewinnt, ist die Idee der Synchronizität und der Notwendigkeit einer ganzheitlichen Sicht auf die supply chain. Indem man das gesamte Netzwerk und all seine Flüsse von der Produktion bis zur Endkundennachfrage betrachtet, schlägt er vor, dass supply chain Probleme effektiver gelöst werden können, anstatt sie einfach zu verlagern. Dies steht im Gegensatz zum häufigeren Ansatz, jede Stufe unabhängig zu optimieren, der miteinander verbundene Auswirkungen übersehen könnte.

Vermorels Kritik an flowcasting konzentriert sich auf dessen Übersimplifizierung. Obwohl Einfachheit im Allgemeinen ein erstrebenswertes Ziel ist, warnt er davor, dass dies nicht zu einer naiven mathematischen Darstellung einer komplexen Realität führen sollte. Während sich flowcasting als Excel-simpel präsentiert, argumentiert Vermorel, dass es die Komplexitäten von supply chains zu stark vereinfacht.

Lokads Ansatz unterscheidet sich von flowcasting durch die Akzeptanz der inhärenten Komplexität von supply chains, so Vermorel. Er betont, dass supply chains von Natur aus unordentlich und kompliziert sind. Lokads Modell bezieht uncertainty mit ein, welches er als irreduzibel ansieht. Dementsprechend beinhaltet ihr Ansatz eine probabilistische Algebra, die, obwohl komplizierter, zu realistischeren Ergebnissen führt. Daher versucht Lokads Methodik nicht, uncertainty zu eliminieren, sondern erkennt sie an und arbeitet mit ihr.

Zur weiteren Komplizierung des supply chain Managements erläutert Vermorel die zahlreichen Randfälle, die existieren, wie zum Beispiel unterschiedliche Anforderungen an Verpackungen oder spezifische Produktformate in verschiedenen Stores und bei einzelnen Kunden. Solche Variationen erfordern, so argumentiert Vermorel, nuancierte und flexible Lösungen, die diese Komplexitäten berücksichtigen, anstatt eines One-Size-Fits-All-Ansatzes.

Um diesen Komplexitäten zu begegnen, entwickelt Lokad eine Programmiersprache namens Envision, die darauf ausgelegt ist, Einfachheit zu bewahren, ohne die Realitäten des supply chain Managements zu vernachlässigen. Dieses System bietet eine bessere Annäherung an die Realität, doch Vermorel räumt ein, dass kein System die Komplexitäten realer supply chains vollständig erfassen kann.

Während der Diskussion wird das Konzept von Flowcasting, einer supply chain Methodik, genau unter die Lupe genommen. Vermorel spekuliert, dass Flowcasting möglicherweise besser abgeschnitten hätte, wenn es eine Form probabilistischer Algebra integriert hätte. Er weist darauf hin, dass Flowcasting trotz seiner Mängel eine kühne Vision für seine Zeit war.

Im Hinblick auf aufkommende Technologien äußert Vermorel seine Skepsis gegenüber dem Einsatz von artificial intelligence (AI) im supply chain Management. Er behauptet, dass AI, obwohl sie oft als Wundermittel gepriesen wird, viele Unternehmen enttäuschen wird, da beeindruckende technologische Fortschritte in Bereichen wie Bilderkennung nicht direkt auf die Lösung von supply chain Problemen übertragbar sind.

Jedoch unterscheidet Vermorel zwischen dem AI-Buzzword und grundlegenden algorithmischen Techniken, wie deep learning und differentiable programming. Diese, so sagt er, könnten unglaublich nützlich sein, wenn sie sorgfältig an die einzigartigen Herausforderungen des supply chain Managements angepasst werden.

Im Rückblick auf Flowcasting stellt Vermorel fest, dass das zugrunde liegende Buch trotz seiner mathematischen Mängel weiterhin eine lohnenswerte Lektüre bleibt, vor allem wegen der nützlichen Einsichten in das supply chain Management im Einzelhandel. Obwohl viele seiner Konzepte noch nicht vollständig genutzt wurden, sind diese Ideen bis heute gültig und wertvoll.

Schließlich hebt das Gespräch hervor, dass die Welt des supply chain Managements komplex ist und es keine einzige, einfache Lösung gibt. Indem er die Bedeutung flexibler und anpassungsfähiger Systeme betont, die die komplexen Realitäten der Supply-Chain-Dynamiken besser abbilden können, schließt Vermorel mit der Empfehlung eines umfassenden und nuancierten Ansatzes.

Full Transcript

Kieran Chandler: Heute, bei Lokad TV, werden wir mehr über diese Technik erfahren und darüber diskutieren, ob sie heute noch relevant ist. Also Joannes, vielleicht sollten wir damit beginnen, ein wenig mehr darüber zu erklären, was flow casting eigentlich ist und wie es funktioniert?

Joannes Vermorel: Flowcasting ist ein Begriff, der mit der Veröffentlichung eines Buches im Jahr 2006, ebenfalls mit dem Titel “Flowcasting”, geprägt wurde. Es handelt sich um eine Technik, die sich an Retail-Netzwerke richtet und supply chain Optimierung für solche Netzwerke bietet. Das Buch präsentiert viele interessante Einsichten und Rezepte, wie man es implementieren kann. Einfach ausgedrückt, besteht die Idee darin, jedes einzelne Produkt an jedem einzigen Standort auszuwählen, jeden Tag vorauszuplanen – idealerweise mit sehr accurate forecasts – und so ein vollständiges Bild von allem zu erhalten, was geschehen wird, angetrieben durch Ihre Kundenauswertungen. Daraus können Sie dann alle supply chain Entscheidungen rekonstruieren, indem Sie diese super disaggregierten Prognosen, die täglich auf Produktebene pro Standort vorliegen, wieder aggregieren. Dies ermöglicht es, alle supply chain Entscheidungen zu rekonstruieren, indem man einfach von diesen Prognosen rückwärts geht, vom Store zurück zum warehouse, zurück zu den Lieferanten.

Kieran Chandler: Interessant. Was war also an dieser Vision so anders? Wie unterschied sie sich von den damals existierenden Techniken?

Joannes Vermorel: Es unterschied sich durch eine Reihe sehr treffender Einsichten, insbesondere die Bedeutung, so nah wie möglich an der Nachfrage zu sein. Dies war keine neue Entdeckung, aber meines Wissens war es eines der ersten Bücher, das die Notwendigkeit betonte, dem besten Nachfragesignal, das Ihnen zur Verfügung steht – Ihren Verkäufen am Ende der Kette – ganz nah zu sein. Dies unterscheidet sich von vielen supply chains, in denen typischerweise eine Ebene nur das betrachtet, was auf der nächsten Ebene passiert. Beispielsweise würde man als Lieferant das Geschehen im warehouse betrachten, das bei Ihnen einkauft, aber nicht das, was in den Stores geschieht. Flowcasting war in dieser Hinsicht sehr stimmig. Es plädierte dafür, sich dem Nachfragesignal zu nähern, und schlug vor, dass es einen Mehrwert gebe, auf der disaggregiertesten Ebene – Produkt pro Store – zu schauen, anstatt einfach alles wöchentlich pro Produkt zu aggregieren, nur weil das rechnerisch einfacher zu verarbeiten sei.

Kieran Chandler: Also, mit “disaggregiert” meinst du, dass man dies auf jede einzelne SKU Ebene in jedem einzelnen Store herunterbricht?

Joannes Vermorel: Genau. Das ist etwas, das Flowcasting vorschlägt und sich von den meisten Techniken der damaligen Zeit unterscheidet. Typischerweise wurden Top-down-Prognosen erstellt, bei denen man nach Kategorien prognostiziert, in Unterkategorien aufteilt, dann nach Regionen und so weiter. Am Ende könnte man ein paar Cluster typischer Stores haben und sagen: “Nun, wenn ich Store-Typ A, Typ B, Typ C habe, werde ich die Zuteilung basierend auf dem Store-Profil vornehmen” und so weiter. Diese Methode vermeidet es, sich mit der disaggregiertesten Stufe auseinanderzusetzen, nämlich jedem einzelnen Produkt an jedem einzelnen Standort, bei dem die Datenmenge förmlich explodiert.

Kieran Chandler: Warum sprechen wir also heute darüber? Gibt es nicht modernere Techniken, die dies abgelöst haben? Warum ist es also immer noch relevant?

Joannes Vermorel: Nun, vor zehn Jahren war Flowcasting in aller Munde, und ich habe gesehen, wie sich mindestens ein halbes Dutzend großer Retail-Netzwerke sehr für seine Einsichten interessierten. In der Praxis hat es jedoch nie funktioniert. Es war wie ein Buch voller scheinbar ausgezeichneter Ideen, aber als man versuchte, es umzusetzen, scheiterte es gänzlich. Es war brutal funktionsunfähig, was angesichts der scheinbar einfachen Ideen unerwartet war. Das Buch ließ es so erscheinen, als könnte man es problemlos mit täglichen Prognosen umsetzen, und es gab einige einfache Rezepte, um diese Prognosen zu erstellen und anschließend für supply chain Entscheidungen zu nutzen. Es stellte sich heraus, dass, wenn man versuchte, es in die Praxis umzusetzen, es gewaltig nicht funktionierte. Der Grund, warum Flowcasting scheiterte, liegt darin, dass einige superkritische Aspekte fehlten. Dennoch mangelt es den meisten Akteuren im Markt immer noch an diesen Einsichten. Flowcasting ist nach einem Jahrzehnt aus der Mode gekommen, aber die Gründe für sein Scheitern sind immer noch nicht gut bekannt. Das bedeutet, dass, sofern nicht viele Akteure ihr Verständnis verbessern, sie vor den gleichen Problemen stehen werden.

Kieran Chandler: Auf den ersten Blick scheint es also ziemlich logisch, den Point of Sale zu betrachten, dort zu prognostizieren und es dann durch die gesamte supply chain zurückfließen zu lassen. Wo gerät es dann jedoch alles ins Wanken?

Joannes Vermorel: Es fällt auseinander aufgrund von Stochastizität oder Unsicherheit. Der Verkauf auf Ladenebene ist äußerst unregelmäßig und zufällig. Ja, vielleicht verkaufen Sie ungefähr eine Einheit pro Woche, aber Sie wissen nie, an welchem Wochentag. Flowcasting beruhte auf einer deterministischen Prognose, bei der man mit perfekter Genauigkeit sagen konnte, dass man in zwei Tagen genau eine Flasche Shampoo für einen bestimmten Artikel verkaufen wird. Allerdings ist das aufgrund der inhärenten Zufälligkeit im Einzelhandel nicht realistisch.

Kieran Chandler: Und da beginnt alles tatsächlich auseinanderzufallen. Diese Prognosen können keinerlei Form von Unsicherheit widerspiegeln. Genau hier versagt die Prognose völlig – Unsicherheit fehlt. Da die Unsicherheit fehlt und man annimmt, dass die Prognosen korrekt sind, gelingt es ihnen nicht, die Zukunft präzise abzubilden. Es sind keine aussagekräftigen Prognosen. Wenn es um die supply chain Optimierung geht, handelt man so, als ob die Prognosen korrekt wären, und man ignoriert, was wir ökonomische Treiber nennen, die all diese Risiken ausbalancieren. Im Grunde haben Sie ein Problem, das die Unsicherheit ausklammert, und infolgedessen ignorieren Sie auch die wirtschaftlichen Treiber, die für eine Optimierung unter Unsicherheit zentral sind. Also, wenn es so viele Probleme mit diesem Ansatz gab, was ist tatsächlich passiert, als Einzelhändler versuchten, ihn umzusetzen? Gab es weit verbreitete Katastrophen?

Joannes Vermorel: Die Retailnetzwerke, mit denen ich in Kontakt stand, kamen nie wirklich über die Prototypenphase hinaus. Sie waren vorsichtig, sie probierten es im sehr kleinen Maßstab aus. Aber tatsächlich waren die Zahlen, die herauskamen, so unsinnig, dass supply chain Praktiker sagten, nein, das können wir nicht in den Laden bringen. Es war entweder viel zu wenig, viel zu wenige oder viel zu viel. Es ergab buchstäblich keinen Sinn. Meines Wissens hat kein groß angelegtes Retailnetzwerk, das über nur einige Dutzend Produkte in wenigen Geschäften hinausging, jemals über die Prototypenphase hinaus bestanden, sondern wurde sehr schnell eingestellt, weil es brutal dysfunktional war.

Kieran Chandler: Also kann es nicht alles schlecht gewesen sein. Flowcasting war eine ziemlich bekannte Technik und hatte einen guten Ruf. Was sind einige der guten Erkenntnisse, die uns vermittelt wurden?

Joannes Vermorel: Es gab mehrere interessante Erkenntnisse. Man empfahl, der Nachfrage so nahe wie möglich zu kommen und dass die am stärksten differenzierte Ebene pro Geschäft, pro Produkt erreicht wird. Ich stimme der Idee zu, dass man so differenziert wie möglich arbeiten muss, aber ich bin nicht einverstanden, dass „pro Produkt, pro Geschäft“ die feinste Auflösung darstellt. Die feinste Auflösung ist jede einzelne Einheit, die an jeden einzelnen Kunden verkauft wird. Heutzutage verfügen die meisten Retailnetzwerke über Kundennachverfolgung durch loyalty-Programme. Sie wissen also nicht nur, dass Sie dieses Produkt an diesem Ort an diesem Tag verkauft haben, sondern auch, an wen Sie es verkauft haben. Daher sollten Sie nicht nur in Zeitreihen denken, wie es im Flowcasting beschrieben wird, sondern in einem Zeitgraphen, in dem Sie genau wissen, an wen Sie verkaufen. Dieser enthält noch mehr Informationen. Dennoch ist der wesentliche Einblick von Flowcasting, die feinste Auflösung zu erreichen, zutiefst korrekt. Another aspect they got right was the idea of automating everything with daily refreshes. That’s exactly what Lokad suggests till now. If you do not have complete automation — getting the data from the last day, crunching it, and refreshing all your forecasts and decisions based on your forecast — then you’re leaving a lot of money on the table. Just because if you’re using data from last week, you’re trying to forecast yesterday’s sales. But you don’t need to forecast yesterday’s sales. You already know them. So, having those daily refreshes is a good practice, otherwise, you end up using data from last week to predict what happened yesterday, which is nonsensical. Ein weiterer Aspekt, den sie richtig erfasst haben, war die Idee, alles mit täglichen Aktualisierungen zu automatisieren. Genau das schlägt Lokad bis heute vor. Wenn Sie keine vollständige Automatisierung haben – also das Abrufen der Daten vom Vortag, deren Verarbeitung und das Aktualisieren aller Prognosen und Entscheidungen basierend auf Ihrer Prognose – dann lassen Sie eine Menge Geld auf dem Tisch liegen. Nur weil Sie Daten von letzter Woche verwenden, versuchen Sie, den gestrigen Verkauf vorherzusagen. Aber den gestrigen Verkauf müssen Sie nicht prognostizieren, denn Sie kennen ihn bereits. Daher ist es eine gute Praxis, tägliche Aktualisierungen durchzuführen; andernfalls verwenden Sie Daten von letzter Woche, um vorherzusagen, was gestern passiert ist, was unsinnig ist.

Kieran Chandler: Also sagen Sie eigentlich, dass Flowcasting durchaus einige wertvolle Erkenntnisse hatte, die wir hier bei Lokad teilen. Was sind also die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Flowcasting-Ansatz und dem, was wir hier bei Lokad tun? Was machen wir in Ihren Augen viel besser?

Joannes Vermorel: Einer der Grundsatzprinzipien von Flowcasting war, dass es extrem einfach – quasi Excel-einfach – gemacht werden kann, mit sehr simplen Formeln, die in Excel kombinierbar sind. Einfachheit ist sehr gut. Dennoch, wenn man ein komplexes System modelliert, wie zum Beispiel supply chains, muss man sicherstellen, dass das Modell nicht zu simpel ist. Es sollte die Realitäten, die man abzubilden versucht, nicht verraten, indem es eine allzu naive mathematische Darstellung einer Realität nutzt, die alles andere als einfach ist.

Joannes Vermorel: Bei Lokad haben wir versucht, die Tatsache anzunehmen, dass die Realität in supply chains sehr chaotisch und oft kompliziert ist. Das bedeutet, dass Unsicherheit bleibt. Wenn Sie sagen: „Wir brauchen einfach nur genaue Prognosen“, ist das Wunschdenken. Es gibt eine irreduzible Menge an Unsicherheit. Sie benötigen ein System, das akzeptiert, dass Unsicherheit bleibt. Am Ende erhalten Sie eine probabilistische Algebra, die viel komplizierter ist. Aber genau das ist notwendig; andernfalls sind Ihre Ergebnisse unsinnig.

Und wenn Sie so viele Informationen wie möglich aus der am feinsten aufgelösten Ebene extrahieren möchten – also aus dem Zeitgraphen, der sogar die Kunden umfasst, wer welches Produkt wo und wann kauft – dann können Sie plötzlich nicht alle Informationen, die Sie aus diesen Daten gewinnen sollten, nur mit Zeitreihen extrahieren. Ja, es ist ein Zeitgraph, und er ist komplizierter, aber das ist die Realität.

Kieran Chandler: In diesem Zeitgraphen steckt viel mehr Information. Das ist es, was Sie nutzen möchten. Vielleicht ist also eine andere Perspektive, anstatt Einfachheit verkaufen zu wollen, ein System zu haben, das so einfach wie möglich, aber niemals einfacher ist, als es die Realität tatsächlich erfordert.

Joannes Vermorel: Ja, in der Tat. Ich könnte ausführen, dass es in supply chains zahlreiche Randfälle gibt, besonders herausfordernde. Zum Beispiel denken Sie an ein Lager, das Packungen mit Flaschen an Geschäfte verschickt, während in den Geschäften die einzelnen Flaschen verkauft werden, weil Kunden die Flaschen manchmal auseinandernehmen. Und dann gibt es Fälle, in denen manche Kunden ausdrücklich eine Packung Flaschen kaufen möchten. Man kann nicht einfach die Flaschen zählen und davon ausgehen, dass das die Lösung ist. Einige Kunden sind sehr wählerisch und bestehen darauf, eine Packung mit sechs Flaschen zu erhalten. Wenn diese nicht verfügbar ist, kaufen sie lieber woanders. Diese Dinge sind ziemlich knifflig.

I’m afraid that there’s no simple silver bullet approach to this. At Lokad, we realized this fact and decided to create a tool, a programming language called Envision. We designed it to be as simple as possible, but without oversimplifying the realities of supply chains. I must admit, reality in supply chains is really complex. All you can hope for is a better approximation. You will never have the entire real-world modeled in your system.

Kieran Chandler: Also, wenn Flowcasting einen Teil dieser probabilistischen Algebra hätte, hätte es in der Vergangenheit vielleicht etwas besser funktioniert, aber es war in mancher Hinsicht wahrscheinlich seiner Zeit um etwa zehn Jahre voraus?

Joannes Vermorel: Genau, ich denke, es war tatsächlich etwa zehn Jahre vor seiner Zeit. Damals hatten wir nicht alle technologischen Voraussetzungen, um das umzusetzen, was immer noch eine relativ kühne Vision der supply chain darstellt.

Kieran Chandler: Und wie steht es um das Flowcasting von 2019? Gibt es etwas, das auf den ersten Blick sehr gut aussieht, aber in Wirklichkeit nicht so gut funktioniert, sobald man tiefer eintaucht? Was wird das nächste sein, das genau wie Flowcasting vielversprechend erscheint, aber letztlich auseinanderfällt?

Joannes Vermorel: Ich glaube, dass das meiste, was unter dem Banner von AI verkauft wird, zusammenbrechen wird. Ich behaupte nicht, dass Deep Learning oder sogar dessen Nachfolger, differentiable programming, keine hervorragenden Werkzeuge wären – das sind sie in der Tat. Aber wenn Sie nur das Schlagwort und reine Technik aus Bereichen wie der Bilderkennung haben, die nicht direkt auf supply chain anwendbar sind, werden viele Unternehmen feststellen, dass rohe Technik, so beeindruckend sie auch sein mag und selbst einen Go-Champion besiegen kann, ihre supply chain Probleme nicht magisch löst.

Ich vermute, dass die AI-Situation in zehn Jahren noch schlimmer sein wird als die von Flowcasting. Selbst bei Flowcasting gab es auch zehn Jahre später noch einige aufschlussreiche Aspekte im Buch. Andererseits gehe ich davon aus, dass etwa 90 % dessen, was Anbieter derzeit anpreisen, in etwa einem Jahrzehnt für supply chain Zwecke wertlos sein werden. Sie werden komplett in Vergessenheit geraten. Aber ich möchte zwischen dem AI-Schlagwort, das ich für ein reines Modewort halte, und fundamentalen algorithmischen Techniken wie Deep Learning und differentiable programming unterscheiden, die sehr nützlich sein können, wenn sie sorgfältig an die Herausforderungen Ihrer supply chain angepasst werden.

Kieran Chandler: Das ist überraschend, wenn man bedenkt, dass AI derzeit ein Schlagwort in der Branche ist. Zum Abschluss: Ist Flowcasting immer noch relevant? Lohnt es sich noch, das Buch zu lesen? Was ist die zentrale Botschaft, die man aus dem heutigen Gespräch mitnehmen sollte?

Joannes Vermorel: Ja, ich denke, das Buch ist immer noch lesenswert. Es ist eine angenehme Lektüre. Der Stil ist schön und es lässt sich schnell lesen – vielleicht in nur wenigen Stunden. Viele der Erkenntnisse sind nach wie vor korrekt. Falsch ist jedoch die Mathematik, die im gesamten Buch veranschaulicht wird. Die Autoren schienen weder Mathematiker noch Statistiker zu sein, und das zeigt sich. Aber wenn Sie die Mathematik außer Acht lassen und sich auf die Erkenntnisse konzentrieren, werden Sie feststellen, dass sie sich intensiv mit der supply chain im Einzelhandel und deren Implikationen auseinandergesetzt haben. Genau da, glaube ich, erstrahlt das Buch wirklich. Viele der Erkenntnisse, die sie noch vor zehn Jahren herausgestellt haben, sind weiterhin sehr korrekt und weitaus untergenutzt. Große Retailnetzwerke erfassen immer noch nicht die meisten der im Flowcasting-Buch beschriebenen Einsichten.

Kieran Chandler: Großartig! Nun, für heute ist die Zeit abgelaufen, aber vielen Dank für Ihre Zeit. Das war alles für diese Woche. Vielen Dank fürs Einschalten und wir sehen uns beim nächsten Mal wieder. Auf Wiedersehen fürs Erste.