00:00:07 Preisoptimierung und Herausforderungen.
00:01:34 Klassische Ansätze zur Preisgestaltung und ihre Grenzen.
00:04:12 Bedeutung der Integration von Preisoptimierung und supply chain Optimierung.
00:05:48 Erfolgreiche Beispiele für dynamische Preisgestaltung im E-Commerce.
00:07:26 Ausbalancierung von Marktkommunikation und Optimierung für dynamische Preisgestaltung.
00:09:07 Verwendung eines probabilistischen Ansatzes für eine bessere Preisoptimierung.
00:11:58 Bedeutung historischer Daten und Preispraktiken.
00:13:56 Technische Anforderungen für die Preisoptimierung.
00:15:03 Prozess- und Datenanforderungen für die Preisoptimierung.
00:17:35 Bedeutung der Wettbewerberpreisgestaltung in verschiedenen Branchen.
00:19:22 Vorhersage zukünftiger Preise und Gewinne sowie Branchen, die dies bereits umsetzen.
00:20:33 Die wichtigste Erkenntnis zur Preisoptimierung und ihrer Beziehung zur Nachfrage.
00:21:18 Abschließende Bemerkungen.

Zusammenfassung

In einem Interview diskutiert Lokads Gründer Joannes Vermorel die Herausforderungen bei der Modellierung von Preisgestaltung und Nachfrage und betont, dass diese oftmals getrennt betrachtet werden. Er argumentiert, dass traditionelle Prognosemodelle begrenzt sind, da sie die Preiswirkungen nicht berücksichtigen. Vermorel ist der Ansicht, dass Preisoptimierung und Supply Chain Management grundlegend miteinander verbunden sind und gemeinsam betrachtet werden sollten. Dynamische Preisstrategien, wie sie beispielsweise von Amazon eingesetzt werden, ermöglichen es Unternehmen, stock-outs zu managen und Margen zu maximieren. Vermorel unterstreicht die Bedeutung eines probabilistischen Ansatzes, der eine Bandbreite an Möglichkeiten berücksichtigt. Durch die Zusammenführung der für Preisgestaltung, Planung, Einkauf und Produktion verantwortlichen Teams können Unternehmen bessere Optimierungsstrategien umsetzen – auch mit minimalen Datenanforderungen.

Erweiterte Zusammenfassung

Im Interview diskutieren Moderator Kieran Chandler und Joannes Vermorel, der Gründer von Lokad, die Herausforderungen bei der Modellierung der Verbindung zwischen Preisgestaltung und Nachfrage und wie Fortschritte im maschinellen Lernen und Big Data die Preisoptimierung für moderne Unternehmen möglich gemacht haben.

Vermorel erklärt, dass der auffälligste Aspekt der Preisgestaltung darin besteht, wie wenig sie mit der Nachfrageplanung verbunden ist. Marketingteams legen in der Regel die Preispunkte für Produkte fest, während die Planungsteams – oft völlig isoliert – die Nachfrage bestimmen. Das Vertriebsteam koordiniert möglicherweise im Rahmen eines S&OP-Prozesses, aber numerisch wird die Preisgestaltung meist ignoriert, sobald ein Preis für ein Produkt festgelegt wurde.

Er erläutert das grundlegende ökonomische Prinzip, wonach steigende Preise zu sinkender Nachfrage führen. Für die meisten Güter gilt dies, obwohl es Ausnahmen gibt, die als Veblen-Güter bekannt sind. Vermorel betont, dass diese Güter äußerst selten sind und sich die Expertise bei Lokad hauptsächlich auf gewöhnlichere Produkte konzentriert. Das Problem entsteht, wenn man bedenkt, dass die meisten supply chain Planungstools die Preisgestaltung nicht berücksichtigen und Planer somit die starken Preiswirkungen, die Prognosen beeinflussen können, übersehen.

Der Grund, weshalb viele supply chain Tools die Preisgestaltung nicht berücksichtigen, liegt an den zahlreichen Variablen, wie etwa Marketingeinflüssen, die die Nachfrage beeinflussen können. Vermorel argumentiert jedoch, dass die enorme Anzahl der Variablen nicht unbedingt ein Problem darstellt, da moderne Computer in der Lage sind, Hunderttausende von Variablen zu verarbeiten. Vielmehr liegt das Problem in den vereinfachten Modellen, die häufig die Nachfrage lediglich als gleitenden Durchschnitt mit einem saisonalen Koeffizienten betrachten, ohne Lagerengpässe oder Preiseffekte zu berücksichtigen.

Vermorel hebt die Bedeutung der Überwachung der Wettbewerberpreise hervor, was dank Webcrawlern und spezialisierten Datenabrufunternehmen einfacher geworden ist. Er ist der Ansicht, dass der Ausgangspunkt für die Preisoptimierung darin besteht, anzuerkennen, dass supply chain Optimierung auch die Preisoptimierung berücksichtigen muss. Diese beiden Elemente sind grundlegend miteinander verknüpft und können nicht getrennt werden. Indem Unternehmen dies erkennen, können sie effektivere Preisstrategien und Supply Chain Management umsetzen.

Vermorel betont die Bedeutung, die Preisgestaltung in den Prognoseprozess einzubeziehen. Traditionelle Prognosemodelle, die Preisgestaltung und Nachfrage getrennt behandeln, sind in ihrer Fähigkeit, die Zukunft genau vorherzusagen, begrenzt. Er argumentiert, dass Preisgestaltung nicht als separate Größe prognostiziert werden sollte, sondern vielmehr als ein Faktor, der genutzt werden kann, um die Quantitative Supply Chain zu optimieren.

E-Commerce-Unternehmen werden als Vorreiter für intelligente, quantitative Optimierung durch dynamische Preisgestaltung genannt. Vermorel erklärt, dass Unternehmen durch die Anpassung der Preise basierend auf Lagerbeständen besser in der Lage sind, stock-outs zu managen und Margen zu maximieren. Wenn ein Unternehmen beispielsweise weiß, dass ein stock-out bevorsteht, besteht keine Notwendigkeit, den verbleibenden Bestand schnell zu liquidieren. Stattdessen können sie den Preis erhöhen, um bei den letzten Einheiten höhere Margen zu erzielen. Umgekehrt, wenn Wettbewerber stock-outs erleben, besteht keine Notwendigkeit, selbst in Eile zu geraten und einen stock-out herbeizuführen.

Ein weiteres Beispiel, das Vermorel anführt, ist die gängige Praxis unter Modehändlern, am Ende einer Kollektion Sales durchzuführen, um überschüssigen Bestand zu liquidieren. Dynamische Preisstrategien, wie sie von Unternehmen wie Amazon bereits eingesetzt werden, verändern Preise häufig basierend auf Nachfrage- und Angebotsfaktoren.

Dynamische Preisgestaltung basiert auf mehreren Faktoren, darunter die historische Produktleistung und die Nachfrage. Vermorel weist darauf hin, dass Preisgestaltung mehrere Zwecke erfüllt, unter anderem die Kommunikation der Marktposition einer Marke. Beispielsweise sollte eine günstige Marke ihre Preise während stock-outs nicht zu stark anheben, da dies ihrem Image schaden könnte.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Preisgestaltung ist ihre Fähigkeit, supply chain Herausforderungen und Unsicherheiten zu bewältigen, indem sie die Nachfrage beschleunigt oder verlangsamt. Dynamische Preisgestaltung kann zu einer besseren Ressourcenzuweisung führen und das gesamte Kundenerlebnis verbessern. Wenn zwei nahezu identische Produkte verfügbar sind, aber eines fast ausverkauft ist, kann eine Preiserhöhung des knappen Artikels dazu beitragen, Kunden, die bei beiden indifferent sind, zum reichlicheren Produkt zu lenken, während diejenigen, die das knappe Produkt gezielt wünschen, weiterhin bereit sind, einen Aufpreis zu zahlen.

Bei der Integration der Preisgestaltung in die Prognose schlägt Vermorel vor, die Idee statischer Prognosen aufzugeben. Er kritisiert den traditionellen Ansatz, der darin besteht, eine konkrete Anzahl zukünftiger Verkäufe für ein Produkt vorherzusagen. Dieser Ansatz vernachlässigt, dass die Preisgestaltung ein Hebel ist, mit dem die Nachfrage beeinflusst werden kann. Stattdessen argumentiert er, dass Prognosen nicht nur zukünftige Unsicherheiten, sondern auch die Entscheidungen berücksichtigen sollten, die Unternehmen treffen können, um die Nachfrage durch Preisanpassungen zu steuern.

Vermorel erklärt, dass Preisgestaltung nicht ungewiss, sondern vielmehr unentschieden ist, und Unternehmen die Möglichkeit haben sollten, ihre Preise basierend auf Marktfeedback anzupassen. Dies kann beinhalten, Preise zu erhöhen, um die Nachfrage bei schwindendem Lagerbestand zu drosseln, oder Preise zu senken, um die Nachfrage zu steigern.

Ein probabilistischer Ansatz, der eine Bandbreite an Möglichkeiten berücksichtigt, kann Unternehmen dabei helfen, die Auswirkungen von Preisänderungen besser zu verstehen. Vermorel führt das Beispiel des Big Mac von McDonald’s an und erklärt, dass kleine Preisänderungen aufgrund des Skaleneffekts und der Preissensitivität des Produkts messbare Auswirkungen auf die Nachfrage haben. In typischen supply chain Situationen, in denen weniger Einheiten verkauft werden, wird die Preisanalyse ungenauer. Probabilistische Prognosen helfen, diese Unsicherheit zu adressieren, indem Unternehmen ihre Nachfrageprognosen nach oben oder unten anpassen können, während sie relativ unsicher bleiben.

Vermorel unterstreicht die Bedeutung, die Teams, die für die Preisgestaltung, Planung, den Einkauf und die Produktion verantwortlich sind, zusammenzubringen, um die Preisoptimierung zu verbessern. Auf diese Weise können Unternehmen bessere Optimierungsstrategien umsetzen. Die Datenanforderungen für die Preisoptimierung sind nicht umfangreich; historische Verkaufsdaten, Promotion Historie und Informationen über Wettbewerberpreise (falls verfügbar) sind im Allgemeinen ausreichend.

Im Interview wird auch die Bedeutung der Wettbewerberpreisgestaltung thematisiert. Vermorel erklärt, dass die Auswirkungen der Wettbewerberpreise von der Branche abhängen, wobei Luxusmarken weniger betroffen sind, während Branchen mit leicht substituierbaren Produkten empfindlicher auf die Preise der Konkurrenz reagieren.

Vermorel weist darauf hin, dass einige Unternehmen, wie Amazon, die Preisoptimierung bereits effektiv nutzen. Er prognostiziert, dass die Preisoptimierung in Zukunft in verschiedenen Branchen verbreiteter sein wird. Zusammenfassend ist die Preisoptimierung ein integraler Bestandteil der Nachfrageprognose, und Unternehmen sollten die Auswirkungen der Preisgestaltung in ihren Bemühungen um supply chain Optimierung nicht ignorieren.

Vollständiges Transkript

Kieran Chandler: Heute auf Lokad TV lernen wir, wie Fortschritte im maschinellen Lernen und Big Data all dies verändert haben und wie die Preisoptimierung für moderne Unternehmen jetzt möglich ist. Also, Joannes, vielleicht könntest du uns ein wenig darüber erzählen, wie die klassischen Ansätze, die viele Unternehmen heute bei der Preisgestaltung verfolgen, funktionieren. Joannes Vermorel: Das Auffälligste an der Preisgestaltung ist in der Regel, wie wenig sie mit der Nachfrageplanung verbunden ist. Man hat beispielsweise das Marketingteam, das bestimmt, welcher Preispunkt für die Produkte geeignet ist, und dann – oft völlig isoliert – die Planungsteams, die die Nachfrage festlegen. Möglicherweise koordiniert das Vertriebsteam im Rahmen eines S&OP-Prozesses, aber numerisch wird die Preisgestaltung meist ignoriert, sobald ein Preis für ein Produkt festgelegt wurde. Kieran Chandler: Wir haben S&OP-Prozesse bereits in einer früheren Episode behandelt, und wie funktioniert die Preisgestaltung als Mechanismus? Joannes Vermorel: Grundlagen der Ökonomie besagen, dass, wenn man den Preis erhöht, die Nachfrage sinkt. Theoretisch gibt es eine Klasse von Gütern, die als Veblen-Güter bekannt sind und entgegengesetzt reagieren, weil ein höherer Preis sie attraktiver macht. Aber unsere Erfahrung bei Lokad zeigt, dass diese Güter äußerst selten sind. Für normalere Produkte gilt: Erhöht man den Preis, sinkt die Nachfrage – was relativ offensichtlich ist. Doch wird es sehr kompliziert, denn in der klassischen supply chain Optimierung konzentriert man sich stark auf die Nachfrage, während die Preisgestaltung vernachlässigt wird. Die meisten supply chain Planungstools berücksichtigen die Preisgestaltung nicht, sodass man keinerlei Hinweise auf starke Preiseffekte hat. Und das bedeutet natürlich, dass sobald ein signifikanter Preiseffekt eintritt, alle Planungen und Prognosen dramatisch danebenliegen. Kieran Chandler: Also ist das einer der Gründe, warum viele dieser supply chain Tools die Preisgestaltung nicht berücksichtigen, weil es so viele Variablen gibt – wie Marketingeinflüsse und andere Faktoren, die die Nachfrage beeinflussen können. Ist das der Grund, weshalb die Preisgestaltung nicht wirklich berücksichtigt wird? Joannes Vermorel: Ja, aber auch, weil die schiere Anzahl der Variablen an sich nicht unbedingt ein Problem darstellt. Mit der Rechenleistung moderner Computer kann man Hunderttausende von Variablen verarbeiten. Das ist an sich kein Hindernis. Vielmehr liegt das Problem in den äußerst simplen Modellen, die meist die Nachfrage lediglich als gleitenden Durchschnitt mit einem saisonalen Koeffizienten betrachten, ohne grundlegende Faktoren wie Lagerengpässe zu berücksichtigen. Natürlich führt ein Lagerengpass zu null Verkäufen, aber das bedeutet nicht, dass keine Nachfrage vorhanden ist – ganz zu schweigen von Preiseffekten. Tatsächlich ist die Preisgestaltung subtiler, und idealerweise würde man auch den Preis der Wettbewerber berücksichtigen, der dank Webcrawlern heutzutage online überwacht werden kann. Es war noch nie so einfach, Zugang zu diesen Daten zu erhalten. Es gibt sogar Unternehmen, die darauf spezialisiert sind, diese Preise für einen abzurufen. Kieran Chandler: Also, wenn es kein so großes Problem ist und es möglich ist, all diese Variablen zu verfolgen, wie können wir dann mit der Preisoptimierung beginnen? Wo fängt man an?

Joannes Vermorel: Ihre supply chain-Optimierung muss die Preisoptimierung mit einbeziehen. Man kann die beiden nicht trennen, denn die traditionelle Sichtweise geht davon aus, dass einmal Personen isoliert einen Preis festlegen und dann andere Personen isoliert bestimmen, wie die zukünftige Nachfrage aussehen wird. In Wirklichkeit sind diese beiden Elemente jedoch vollständig miteinander verknüpft, und wenn man sie nicht entwirren kann, sind sie grundsätzlich verflochten. Das bedeutet, dass der Ausgangspunkt darin liegt, prozessual anzuerkennen, dass diese Dinge Hand in Hand gehen. Und wenn man sie von vornherein trennt, spielt es keine Rolle, wie schlau Ihre Machine-Learning-Zeug oder all Ihre numerical recipes sind. Sobald sie per Design vollständig getrennt wurden, kann man aus der Perspektive der Nachfrageprognose nicht mehr erkennen, dass das Pricing existiert, weil man – numerisch gesprochen – gerade blind agiert. Die Idee ist also, dass Pricing, anstatt etwas zu sein, das man tatsächlich prognostiziert, etwas ist, das man selbst gestaltet. Ein Beispiel wäre sehr aufschlussreich, und es gibt Unternehmen, die dies heute tatsächlich gut umsetzen. E-Commerce-Unternehmen sind, wie üblich, Vorreiter, wenn es um sehr intelligente, quantitative Optimierung geht. Sie optimieren den Preis aggressiv quantitativ. Grundsätzlich, wenn sie wissen, dass sie auf Lagerleerstände zusteuern, macht es keinen Sinn, sich zu beeilen, den verbleibenden Bestand zu liquidieren, da man ohnehin in einen Lagerleerstand läuft. Man kann den Preis ein wenig anheben und erlebt trotzdem einen Lagerleerstand, aber zumindest erzielt man bei den letzten Einheiten höhere Margen. Umgekehrt, wenn man sieht, dass alle Wettbewerber Lagerleerstände haben, hat es keinen Sinn, sich so weit vorzuarbeiten, dass man selbst aufgrund des zusätzlichen Nachfrageanstiegs einen Lagerleerstand erleidet. Genau das machen auch alle Modehändler, wenn am Ende der Kollektion zu viel Bestand eines bestimmten Produkts vorhanden ist: Man macht einen Sale, um im Grunde genommen das Verbleibende zu liquidieren. So wird dynamisches Pricing bereits in der Produktion eingesetzt. Amazon zum Beispiel – wenn man sich deren Preise anschaut – sind diese sehr in Bewegung. Die Preise ändern sich von Tag zu Tag und sogar von Stunde zu Stunde, besonders in sehr geschäftigen Zeiten wie vor Weihnachten.

Kieran Chandler: Und basiert dieses dynamische Pricing im Wesentlichen darauf, wie sich Produkte historisch entwickelt haben und auf welchen Nachfragepegeln sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten lagen?

Joannes Vermorel: Die Idee ist, dass Pricing vieles ist. Pricing ist eine Botschaft, die man an den Markt sendet, weshalb dieser Teil relativ starr ist. Man möchte nicht zu sehr von dieser Botschaft abweichen. Wenn man sich als günstige Marke positioniert, möchte man den Preis nicht drastisch erhöhen wegen Lagerleerständen. Es gibt also diesen wichtigen Messaging-Aspekt, der die langfristige Komponente darstellt. Aber zudem ist Pricing ein fantastischer Mechanismus, um die Nachfrage zu beschleunigen oder zu drosseln und so den Herausforderungen und Schwierigkeiten der supply chain besser begegnen zu können. Die Zukunft ist unsicher, und es ist sehr schwierig, eine genaue Prognose zu erstellen, wenn die Märkte extrem unberechenbar sind. Dynamisches Pricing ist daher ein Weg, eine bessere Ressourcenzuweisung zu ermöglichen und sogar einen besseren Service für die Kunden zu bieten.

Es macht zum Beispiel keinen Sinn, wenn man zwei Produkte hat, die nahezu perfekte Substitute sind, von denen eines aber ausgehen wird. Es ist für alle Kunden nicht von Natur aus ein perfekter Ersatz. Wenn man den Preis eines dieser beiden Produkte erhöht, werden die Kunden, denen es egal ist, welches Produkt sie verwenden, einfach zum anderen wechseln. Diejenigen, denen es wirklich wichtig ist, haben weiterhin Zugang zu dem Produkt, das sie wirklich suchen, und sind sogar bereit, einen kleinen Aufpreis zu zahlen.

Kieran Chandler: Schauen wir also mal aus der Perspektive der Prognose. Wie kann man überhaupt eine Prognose erstellen, die gut mit dem Pricing zusammenarbeitet?

Joannes Vermorel: Die Idee ist, dass man die Vorstellung einer statischen Prognose aufgeben muss. Das ist auch einer meiner großen Kritikpunkte an der klassischen Prognoseperspektive. Man soll sagen: „Das ist es, das ist die Zukunft, wir werden 1.000 Einheiten dieses Produkts verkaufen“, doch die Antwort lautet: nun, das hängt davon ab. Ihr Pricing ist im Grunde ein Hebel, der die Nachfrage beeinflussen kann. Was Sie prognostizieren wollen, wird also im Wesentlichen durch etwas gesteuert, das Sie selbst beeinflussen können. Es geht nicht darum, zukünftige Unsicherheiten abzubilden; es geht auch darum, zukünftige Entscheidungen, die Sie selbst treffen werden, zu erfassen. Und diese Entscheidungen sind nicht unsicher; sie sind unentschieden. An Ihrem Pricing gibt es keine Ungewissheit – Ihr Pricing ist genau das, was Sie es haben möchten. Möchten Sie Ihren Preis erhöhen, können Sie das tun, es sei denn, Sie befinden sich in einem stark regulierten Bereich. Meistens haben Sie völlige Freiheit bei Ihrem Pricing, sodass keine Unsicherheit besteht, auch wenn Sie Ihre Meinung noch ändern könnten.

Wenn man an eine statische Prognose denkt, ist es, als würde man sagen: „Mein Preis ändert sich auf keinen Fall“, was schlecht ist. Es ist viel klüger – und im Geschäftsleben profitabler – in der Lage zu sein, je nach Rückmeldung vom Markt flexibel zu reagieren.

Kieran Chandler: Also, wenn man die Nachfrage reduzieren möchte, weil einem der Bestand ausgeht, erhöht man den Preis, und wenn man die Nachfrage steigern möchte, kann man den Preis senken?

Joannes Vermorel: Genau. Und genau hier kommt ein probabilistischer Ansatz ins Spiel, denn dieser Spielraum an Möglichkeiten kann gut funktionieren. Wahrscheinlichkeiten helfen wirklich, denn sofern man nicht ein Produkt wie den Big Mac in einem großen Land wie Deutschland verkauft, wo man fantastische Mengen hat, wird jede einzelne Cent-Erhöhung beim Big Mac wahrscheinlich einen messbaren Einfluss auf die Nachfrage haben. Hier hat man also ein Produkt, das in großem Maßstab verkauft wird und sehr preissensitiv ist. Die Leute sollten in der Lage sein, die genaue Elastizität zu messen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es bei McDonald’s schlaue Leute gibt, die die Preiselastizität des Big Mac von Land zu Land kennen.

Aber das funktioniert gut, weil sie über eine enorme Datenmenge verfügen. In typischen supply chain-Situationen verkauft man nicht Millionen von Einheiten eines bestimmten Produkts pro Woche. Häufig endet es damit, dass man nur ein paar Hundert Einheiten pro Woche – oder sogar noch weniger – verkauft, was bedeutet, dass Ihre Pricing-Analyse sehr ungenau sein wird. Was hier hilfreich ist, ist, dass eine probabilistische Prognose es ermöglicht, die Nachfrageprognose einfach nach oben oder unten zu verschieben, während sie dennoch relativ unsicher bleibt. Je weiter man vom üblichen Preisniveau entfernt ist, desto mehr zusätzliche Unsicherheit wird hinzugefügt.

Denn wenn man den Preis nur ein wenig verändert, stellt sich heraus, dass die historischen Daten höchstwahrscheinlich als Grundlage dafür dienen, zu erraten, was passieren wird. Aber wenn man darüber nachdenkt, was geschehen würde, wenn der Preis beispielsweise 10-mal günstiger wäre, hat man höchstwahrscheinlich überhaupt keine historischen Daten, um das zu stützen – einfach weil man es nie gemacht hat. Da es nicht profitabel war, hätten auch keine der Wettbewerber es getan, sodass man schlichtweg keine Ahnung hat. Niemand weiß es. Vielleicht wird die Nachfrage nach Ihrem Produkt 100-mal so hoch sein, wenn es 10-mal günstiger wäre, aber das ist einfach kein Szenario, das man je untersucht hat. Also weiß man es einfach nicht, und das ist eine extreme Situation, aber die gleiche Idee gilt.

Kieran Chandler: Je weiter Sie von Ihren üblichen Pricing-Praktiken entfernt sind, desto weniger Informationen fließen aus Ihrem Geschäft, und desto mehr Unsicherheit besteht.

Joannes Vermorel: Okay, also im Fall des Big Mac sagen Sie, wenn man den Preis um ein paar Cent ändert, erhält man ein besseres Verständnis, während bei einer Änderung um ein paar Euro – also einer größeren Veränderung – das Verständnis über die mögliche Zukunft deutlich geringer ausfällt.

Kieran Chandler: Lassen Sie uns über einige der technischen Anforderungen für die Preisoptimierung sprechen. Was braucht ein Unternehmen? Sie sagten, dass McDonald’s und der Big Mac über zahlreiche historische Daten verfügen. Welche technischen Voraussetzungen benötigt ein Unternehmen, um seine Preise zu optimieren?

Joannes Vermorel: Die Voraussetzung, um zu starten, besteht zunächst darin, die Teams zusammenzuführen, die den Preis konzipieren, und die Teams, die in der Regel die Planung sowie sämtliche Einkaufs- und Produktionspläne durchführen. Sehen Sie, das Problem besteht darin, dass man zwingend all diese Funktionen zusammenbringen muss; andernfalls wäre die Optimierung nicht durchführbar – man hätte sich per Design daran gehindert, dies überhaupt umzusetzen. Was die prozessualen Anforderungen in Bezug auf Daten angeht, braucht man eigentlich nicht allzu viel. Tatsächlich reichen die herkömmlichen historischen Verkaufsdaten aus. Man benötigt die üblichen Verdächtigen: die Historie der Promotionen, denn Promotionen sind wie vorübergehende Preisbewegungen, die interessant sind, um zu analysieren, was passiert, wenn man den Preis anpasst. Man muss auch historische Lagerleerstände haben, um Verunreinigungen und Ausreißer zu vermeiden, die man preislich nicht erklären kann. Idealerweise, wenn man den Preis der Wettbewerber – zumindest im Web – erfassen kann, hilft das enorm. Das ist nicht zwingend erforderlich, aber es trägt wirklich dazu bei, die Nichtlinearitätseffekte zu verstehen, wenn man unter dem Preis des Wettbewerbers liegt oder der Wettbewerber niedriger als man ist. Das kann kleine, nichtlineare Effekte auf die Nachfrage haben – Spitzen und Einbrüche, die sich dadurch erklären lassen, dass die Kunden von demjenigen abwandern, der am günstigsten ist.

Kieran Chandler: Wenn man all diese Abteilungen zusammenbringt, wie unterscheidet sich das von einem traditionelleren S&OP-Ansatz?

Joannes Vermorel: Es unterscheidet sich dadurch, dass man im Grunde die Vorstellung aufgibt, einen festen Preis für ein Produkt zu haben. Stattdessen verfolgt man eine Pricing-Strategie. Angenommen, Sie beziehen Produkte aus Asien, und es dauert 13 Wochen von dem Moment, in dem Sie eine Bestellung an Ihren asiatischen Lieferanten übermitteln, bis zu dem Zeitpunkt, an dem Sie das Produkt tatsächlich ausstellen und in Nordamerika und Europa verkaufen können. Warum sollten Sie an Tag Null festlegen, was Ihr Preis sein wird, wenn Sie das Produkt 13 Wochen später verkaufen? Diese Entscheidung kann nämlich aufgeschoben werden. Wenn Sie 13 Wochen später feststellen, dass die Nachfrage nach dieser Produktart sprunghaft angestiegen ist und Ihre ursprüngliche Bestellung von 1.000 Einheiten längst unzureichend ist, macht es keinen Sinn, an dem festzuhalten, was Sie sich vor 13 Wochen vorgestellt haben. Stattdessen können Sie anhand der neuesten Daten neu bewerten und eine intelligentere Entscheidung treffen.

Kieran Chandler: Wie wichtig ist es, die Preise der Wettbewerber im Blick zu behalten, besonders jetzt, wo wir leichten Zugang zu ihren Online-Preisen haben?

Joannes Vermorel: Das hängt stark von der Branche ab. Zum Beispiel, wenn Sie eine Luxusmarke sind, spielt es eigentlich keine Rolle. Eine Luxusmarke wie Louis Vuitton senkt ihren Preis nicht, nur weil Cartier das getan hat. Beide sind erstklassige Luxusmarken, die auf höchste Qualität ihrer Produkte setzen und dementsprechend bepreisen. Eine Luxusmarke soll etwas sein, für das es keinen adäquaten Ersatz gibt. Andererseits gibt es Produkte, die nahezu perfekte Substitute sind. Wenn Sie Zucker pro Kilogramm für ein Restaurant kaufen, ist es letztlich egal, wer Ihr Lieferant ist – solange die Qualitätsstandards erfüllt werden.

Kieran Chandler: Mit Blick in die Zukunft, können Sie sich eine Zeit vorstellen, in der Unternehmen Preisniveaus festlegen, mit einem soliden Verständnis ihrer daraus resultierenden Gewinne?

Joannes Vermorel: Einige Unternehmen, wie Amazon, machen das bereits. Wir haben ein paar Kunden im sehr aggressiven E-Commerce, die dies ebenfalls tun, auch wenn sie es nicht so stark nach außen tragen. In anspruchsvolleren Branchen wie der Luft- und Raumfahrt geschieht das auch schon. Fluggesellschaften betreiben seit Jahrzehnten Yield Management, um Tickets zu verkaufen, und selbst bei Flugzeugteilen wird es angewandt. Was ich sehe, ist, dass es in nahezu alle anderen Branchen Einzug hält, wenngleich es mehr oder weniger anwendbar sein mag.

Kieran Chandler: Abschließend, welches ist die wesentliche Erkenntnis, die wir heute über die Preisoptimierung mitnehmen sollten?

Joannes Vermorel: Die Preisoptimierung ist ein integraler Bestandteil von Nachfrage und Nachfrageprognosen. Es gibt keine Nachfrage ohne Preis – der Preis definiert die Nachfrage und umgekehrt. Wenn Ihre supply chain-Organisation versucht zu optimieren, ohne die Einflüsse des Pricings zu berücksichtigen, übersehen Sie den Elefanten im Raum. Es spielt keine Rolle, ob Sie Ihren gleitenden Durchschnitt mikrooptimieren; der Elefant, den Sie ignorieren, bleibt bestehen – und das ist schlecht.

Kieran Chandler: Hoffentlich übersieht nun niemand mehr den Elefanten im Raum. Das war alles für diese Woche. Vielen Dank fürs Einschalten, und wir sehen uns beim nächsten Mal. Auf Wiedersehen für jetzt.