00:00:07 Das Blackbox-Problem im supply chain management.
00:02:20 Der Aufstieg von KI und komplexen numerischen Rezepten verschärft das Blackbox-Problem.
00:03:59 Unterschiede zwischen älteren ERP-Systemen und modernen, und ihr Bezug zum Blackbox-Problem.
00:06:10 Beispiele aus der Praxis zum Blackbox-Problem und seinen Auswirkungen auf Unternehmen.
00:07:36 Wie Unternehmen das Blackbox-Problem mit Excel-Tabellen überwinden.
00:09:06 Das Konzept des Whiteboxing für Transparenz und Einsicht.
00:11:27 Die Bedeutung, einige gut gestaltete Zahlen zur Erklärung von Entscheidungen zu entwickeln.
00:14:17 Die Vorteile der Verwendung wirtschaftlicher Treiber für die Entscheidungsfindung.
00:15:28 Die Grenzen von Excel beim Umgang mit komplexen Daten und der Bedarf an besseren Werkzeugen.
00:17:36 Die Wichtigkeit einer gründlichen Dokumentation der Systeminputs, um unbrauchbare Ergebnisse zu vermeiden.
00:18:47 Erforschung des Bedarfs an agilen Datenverarbeitungsschichten, die Zwischenberechnungen unterstützen.
00:20:08 Die Bedeutung der Entwicklung unabhängiger wirtschaftlicher Treiber, um irreführende Ergebnisse zu vermeiden.
00:21:09 Warum Whiteboxing entscheidend ist und welche Folgen ein intransparenter Prozess hat.
Zusammenfassung
In diesem Interview diskutieren Kieran Chandler und Joannes Vermorel die Bedeutung von “Whiteboxing” in supply chain optimization. Supply chains sind komplexe Systeme, und die Integration von Software oder KI-getriebenen Techniken kann sie undurchsichtiger machen. Vermorel argumentiert, dass traditionelle ERP-Systeme, die häufig mit null Intelligenz entworfen wurden, zu dieser Intransparenz beitragen. Der Whiteboxing-Ansatz von Lokad zielt darauf ab, Transparenz wiederherzustellen, indem er sich auf einige sorgfältig gestaltete Zahlen konzentriert und unternehmensweite Kennzahlen wie economic drivers verwendet. Mit Envision, ihrer Programmiersprache, hilft Lokad, die Transparenz im Prozess der supply chain optimization aufrechtzuerhalten. Die Übernahme von Whiteboxing kann das Vertrauen in supply chain Systeme stärken und die Gesamteffizienz verbessern.
Erweiterte Zusammenfassung
In diesem Interview bespricht Kieran Chandler, der Moderator, das Konzept des “Whiteboxing” mit Joannes Vermorel, dem Gründer von Lokad, einem Softwareunternehmen, das sich auf supply chain optimization spezialisiert hat. Das Gespräch beginnt mit einer Erklärung des “Blackbox”-Problems in der Informatik, das sich auf Systeme bezieht, bei denen Inputs und Outputs beobachtet werden können, ohne dass man deren interne Funktionsweise versteht. Dies kann problematisch sein, besonders angesichts der zunehmenden Verbreitung von artificial intelligence in verschiedenen Branchen.
Vermorel erklärt, dass supply chains von Natur aus komplexe Systeme sind, die zahlreiche Menschen, Produkte und Standorte umfassen. Diese Komplexität führt zu Intransparenz, wodurch es den Beteiligten schwerfällt, die Funktionsweise der supply chain vollständig zu erfassen. Die Hinzufügung von Software, selbst grundlegende Software, die nicht besonders “intelligent” ist, kann diese Intransparenz weiter verschärfen. Dieses Problem wird noch verstärkt, wenn fortgeschrittene numerical recipes oder KI-gesteuerte Techniken eingeführt werden, wodurch es für die in der Organisation Beteiligten zunehmend schwieriger wird, die Bedeutung hinter den von diesen Systemen erzeugten Zahlen und Ergebnissen zu verstehen.
Intransparenz, wie Vermorel sie definiert, ist die Schwierigkeit, die Herkunft und Bedeutung von Ergebnissen oder Messungen eines Systems zu bestimmen. Im Kontext von supply chains bedeutet dies, dass es herausfordernd sein kann zu verstehen, warum bestimmte Werte oder Ergebnisse erzielt wurden und welche Faktoren dazu beigetragen haben.
Nach Vermorel ist das Blackbox-Problem in der supply chain Industrie weit verbreitet. Traditionelle Enterprise Resource Planning (ERP)-Systeme und andere ältere Technologien waren aus verschiedenen Gründen oft intransparent, etwa aufgrund von Schwierigkeiten bei der Gestaltung effektiver relationaler Schemata für Datenbanken oder aufgrund der Existenz mehrerer, nicht gut integrierter Systeme. Diese Systeme mögen für sich genommen relativ einfach sein, aber in Kombination können sie erhebliches Durcheinander und Komplexität erzeugen. Ad-hoc-Integrationen zwischen Systemen, die nicht gut dokumentiert sind, tragen zusätzlich zur Intransparenz bei.
Die Einführung fortgeschrittener numerical recipes oder KI-gesteuerter Techniken in diese Systeme kann die Intransparenz in die Höhe schnellen lassen. Das macht es für die Beteiligten in der supply chain noch schwieriger zu überprüfen, ob die erzeugten Zahlen korrekt sind. Früher war es beispielsweise möglich, Lagerbestände in verschiedenen Systemen manuell zu überprüfen. Mit der Hinzufügung komplexer numerical recipes wird eine solche Validierung jedoch zunehmend herausfordernder.
Vermorel erklärt, dass traditionelle Enterprise Resource Planning (ERP)-Systeme mehr auf Management als auf Planung ausgerichtet sind und häufig mit null Intelligenz entworfen wurden. Die fortgeschrittenen numerical recipes, die einige Anbieter als AI bezeichnen könnten, werden üblicherweise über dem ERP-System geschichtet, was den gesamten Prozess undurchsichtiger macht.
In praktischen Beispielen hat Vermorel beobachtet, dass selbst einfache Berechnungen, wie z. B. safety stock, zu Blackbox-Effekten führen können. Beispielsweise könnte ein Unternehmen einen service level von 99,9 % eingeben, aber nur einen Service-Level von 97 % erreichen. Diese Diskrepanz zwischen Input und Output führt zu einem mangelnden Verständnis der internen Abläufe des Systems. Unternehmen greifen typischerweise auf Excel-Tabellen zurück, um dieses Problem zu lösen, indem sie grundlegende Daten aus dem ERP-System extrahieren und eigene numerical recipes entwickeln, um die Kontrolle über die Berechnungen zu behalten.
Der Whiteboxing-Ansatz, wie ihn Vermorel beschreibt, erkennt an, dass selbst einfache Modelle undurchsichtig werden können, wenn sie auf komplexe supply chain scenarios angewendet werden. Ziel des Whiteboxing ist es, Transparenz und Verständnis in diesen Modellen wiederherzustellen. Durch die Entwicklung eines Prozesses, der auf die Wiederherstellung von Transparenz ausgerichtet ist, können Unternehmen Vertrauen schaffen und sich letztlich von der Abhängigkeit von Excel-Tabellen entfernen.
Eine Herausforderung des Whiteboxing-Ansatzes besteht darin, eine Überladung mit Metriken und indicators zu vermeiden. Unternehmen verlangen oft mehr KPIs und Indikatoren, wenn sie mit einem Blackbox-Modell konfrontiert werden, was jedoch zu noch größerer Komplexität und Intransparenz führen kann. Vermorel schlägt vor, sich auf einige sorgfältig gestaltete Zahlen zu konzentrieren, um die vom Modell getroffenen Entscheidungen zu erklären.
Whiteboxing zielt darauf ab, Erklärungen für die Endergebnisse von Entscheidungen mit physischen Auswirkungen auf die supply chain bereitzustellen, wie z. B. Produktion, Einkauf oder Verlagerung von Lagerbeständen. Um dies zu erreichen, berücksichtigt der Prozess eine Handvoll Zahlen, die diese Entscheidungen erläutern, gemessen in Dollar oder Euro, da diese Einheiten unternehmensweit am sinnvollsten sind. Indem man sich auf das Endergebnis konzentriert und die Entscheidungen in unternehmensweiten Kennzahlen erklärt, kann der Whiteboxing-Ansatz dazu beitragen, Verständnis und Transparenz in der supply chain optimization zu schaffen.
Vermorel erklärt, dass das Risiko von stockouts viel höher sein kann als der Wert der zu erwerbenden Artikel, wenn es zu Produktionsstillständen führt. Um dem entgegenzuwirken, setzt Lokad wirtschaftliche Treiber zur Entscheidungsfindung ein. Diese Treiber sind nützlich, weil sie einen unternehmensweiten Vergleich ermöglichen und sicherstellen, dass Entscheidungen mit vergleichbaren Kennzahlen getroffen werden.
Eine der Herausforderungen bei traditionellen supply chain optimization Techniken ist die Blackbox-Natur vieler analytischer Systeme. Im Gegensatz dazu unterstützt Lokads Ansatz Whiteboxing, der es den Nutzern ermöglicht, die internen Abläufe des Systems zu verstehen und dessen Ergebnisse zu validieren. Vermorel weist darauf hin, dass Excel ein effektives Werkzeug für Whiteboxing im kleinen Maßstab ist, aber bei großen Datensätzen oder komplexen Berechnungen an seine Grenzen stößt.
Um diese Einschränkung zu überwinden, hat Lokad eine Programmiersprache namens Envision entwickelt, die es den Nutzern ermöglicht, nahe an den Daten zu bleiben, Validierungen durchzuführen und dashboards zu erstellen. Dies hilft, die Transparenz im supply chain optimization Prozess aufrechtzuerhalten.
Für Unternehmen, die black-box Softwarelösungen einsetzen, empfiehlt Vermorel, mit einer gründlichen Dokumentation der Systeminputs zu beginnen. Oft mangelt es an einer sauberen Dokumentation der Dateninputs, was zu einem Garbage-in-Garbage-out-Szenario führt. Der nächste Schritt besteht darin, sicherzustellen, dass die analytische Schicht des Systems Agilität ermöglicht, ähnlich wie bei Excel, sodass Nutzer problemlos Spalten hinzufügen und ihre Logik debuggen können.
Sobald diese Voraussetzungen erfüllt sind, sollten sich Unternehmen darauf konzentrieren, gute wirtschaftliche Treiber zu entwickeln, die so unabhängig voneinander wie möglich sind. Dies vermeidet das Risiko einer doppelten Zählung oder das Übersehen wichtiger Faktoren im Entscheidungsprozess.
Whiteboxing ist in der supply chain optimization entscheidend, weil es die Gültigkeit der Systemergebnisse sicherstellt. Wenn die Menschen dem System nicht vertrauen, greifen sie auf ihre Excel-Tabellen zurück, was Vermorel als notwendigen Schutz gegen “System-Wahnsinn” beschreibt. Durch die Übernahme von Whiteboxing können Unternehmen Vertrauen in ihre supply chain optimization Prozesse aufbauen und ihre Gesamteffizienz verbessern.
Gesamtes Transkript
Kieran Chandler: Heute auf Lokad TV werden wir die Lösung besprechen, etwas, das als Whiteboxing bekannt ist. Also, Joannes, bevor wir zum Whiteboxing kommen, sollten wir vielleicht mit dem Blackbox-Problem beginnen. Worum geht es bei Blackboxes, und was ist das Problem dabei?
Joannes Vermorel: Supply chains sind komplexe Systeme, an denen viele Menschen beteiligt sind, mit zahlreichen Produkten und potenziell vielen Standorten. Von Anfang an ist klar, dass es sich um ein sehr komplexes Problem handelt, und deshalb ein Problem, das allein durch seine Komplexität bereits für Intransparenz sorgt. Es ist sehr schwer, das Ganze zu erfassen. Wenn man dann noch Schichten von Software in der Mitte hinzufügt, verschlimmert das das Problem nur noch. Ich spreche hier nur von relativ grundlegender Software, die lediglich die Infrastruktur der IT in der supply chain verwaltet, nichts Intelligentes. Aber selbst das schafft eine weitere Ebene der Intransparenz. Was passiert, ist, dass einige Anbieter AI anpreisen, aber ich ziehe es vor, von intelligenten, fortgeschrittenen numerical recipes für supply chain zu sprechen. Sobald man nicht trivialen numerical recipes in die Mitte der Software einfügt, die tatsächlich die supply chain steuert, entsteht eine ganz neue Ebene der Intransparenz.
Kieran Chandler: Du hast da ein Schlüsselwort erwähnt, nämlich Intransparenz. Könntest du genauer erläutern, was du unter Intransparenz verstehst?
Joannes Vermorel: Unter Intransparenz verstehe ich, dass es für die in der Organisation tätigen Personen, die in der supply chain arbeiten oder sie organisieren, sehr schwer ist herauszufinden, was eine Zahl genau bedeutet, woher sie stammt und warum sie auf diesen Wert und nicht auf einen anderen festgelegt wurde. Die Intransparenz spiegelt wider, wie schwer es ist, den Dingen auf den Grund zu gehen, wenn man seine supply chain untersuchen möchte.
Kieran Chandler: Also sprechen wir im Grunde von einem Blackbox-Problem, bei dem Ergebnisse aus einem System kommen und wir uns nicht ganz sicher sind, woher diese Ergebnisse stammen. Wie weit verbreitet ist dieses Problem? Ist das etwas, das wir in der supply chain Branche häufig beobachten?
Joannes Vermorel: Ja, ich würde sagen, dass die älteren ERP- und IT-Systeme aus verschiedenen Gründen sehr intransparent waren. Damals war es viel schwieriger, gute relationale Schemata für Datenbanken zu entwerfen, sodass die interne Struktur etwas chaotisch sein konnte. Man konnte viele Systeme haben, die in einer komplexen supply chain nicht gut integriert waren, sodass, wenn man sie zusammenführte, ein erhebliches Durcheinander entstand und viele ad-hoc Integrationen zwischen den Systemen vorkamen, die nicht gut dokumentiert waren. Dies führt dazu, dass aus an sich relativ einfachen Systemen eine aufkommende Intransparenz entsteht. Und wenn man dann numerical recipes hinzufügt, schnellt die Intransparenz in die Höhe, weil es plötzlich sehr schwierig wird zu validieren, ob die Zahlen korrekt sind.
Kieran Chandler: Es geht nicht darum, den zentralen Systemwert des Lagerbestands an einem entfernten Standort zu überprüfen und dann im System des entfernten Standorts selbst nachzusehen, ob der Lagerwert übereinstimmt. Das war, weißt du, manchmal etwas knifflig, solche Prüfungen durchzuführen. Aber solange kein numerical recipe involviert ist, konnte man es machen. Sobald jedoch ein lineares Regressionsmodell in der Mitte steht, wird es fast unmöglich, irgendetwas zu reproduzieren oder überhaupt zu verstehen, was vor sich geht. Das hat sich also im Vergleich zwischen diesen älteren ERP-Systemen und den moderneren geändert. Wir verwenden jetzt komplexere numerical recipes. Ist das der große Wandel? Ist das der Grund, warum dieser Blackbox-Ansatz auftritt?
Joannes Vermorel: Typischerweise sind diese fortgeschrittenen numerical recipes nicht im ERP integriert. Ich meine, das ERP, trotz seines Namens, Enterprise Resource Planning, hat sehr wenig mit Planung zu tun – fast gar nichts. Es geht ausschließlich um Management. Man spricht hier von Enterprise Resource Management, das in der Regel von Grund auf mit null Intelligenz implementiert wird. Man will einfach nur seine Vermögenswerte verfolgen, und es gibt darüber Schichten von Analytics. Aber dann, richtig, innerhalb dieser Analytics-Schichten gibt es fortgeschrittene Rezepte, die einige Anbieter als AI bezeichnen könnten, und das macht alles viel undurchsichtiger.
Kieran Chandler: Wie sieht ein konkretes Beispiel aus der Praxis aus, das zeigt, wie sehr diese Blackbox-Probleme Unternehmen tatsächlich beeinträchtigen?
Joannes Vermorel: In der realen Welt ist es überraschend, dass man keine KI benötigt, um einen Black-Box-Effekt zu erzielen. Viel einfachere Dinge führen bereits zu weit verbreiteten Black-Box-Effekten. Ich habe in vielen Unternehmen gesehen, dass schon etwas so Einfaches wie eine Sicherheitsbestandsberechnung – also wie viel Bestand man vorhalten muss, wenn man annimmt, dass die Nachfrage normalverteilt ist auf Basis der Prognose und dasselbe gilt für die lead time – zu Black-Box-Effekten führt. Man gibt ein, “Ich wähle ein Servicelevel von 99,9 Prozent”, aber die Messung zeigt in der Realität, dass man nur ein Servicelevel von 97 Prozent erreicht. So entsteht eine bizarre Diskrepanz zwischen der Einstellung, die man im System eingibt, wie 99,9, und dem, was man in der Realität bekommt, nämlich 97. Das ist die Art von Situation, in der man eine Black Box hat und nicht wirklich versteht, was vor sich geht. Offenbar entspricht die Ausgabe des Systems nicht dem, was man erwartet hat, sodass man diesem Black-Box-Effekt direkt gegenübersteht.
Kieran Chandler: Wenn dies so verbreitet ist, wie überwinden Unternehmen diese Probleme?
Joannes Vermorel: Typischerweise überwinden sie das mit Unmengen von Excel-Tabellen. Was passiert, wenn man Zahlen hat, denen man im System nicht vertrauen kann? Die Leute extrahieren einfach Daten aus dem ERP, grundlegende Daten, denen sie vertrauen können, wie stock levels, historische Verkäufe, historische Bestellungen – solche Dinge. Sie können überprüfen, dass die Excel-Tabelle mit dem System übereinstimmt, sodass kein Black-Box-Effekt entsteht. Sie überprüfen sogar, ob der Inhalt der Excel-Tabelle tatsächlich mit dem übereinstimmt, was in den Regalen im warehouse vorhanden ist, nur um sicherzugehen. Und dann beginnen sie, ihre eigenen numerischen Rezepte direkt in der Excel-Tabelle zu entwickeln, bei denen der supply chain practitioner die Kontrolle über jede einzelne Berechnung hat und das Ganze sehr anschaulich ist. So versuchen sie, einem Black-Box-Effekt aus dem Weg zu gehen. Obwohl, wenn eine Excel-Tabelle über Jahre hinweg von einem supply chain practitioner an einen anderen weitergegeben wird, kann es durchaus zu einem gewissen Grad an Undurchsichtigkeit und einem Black-Box-Effekt in diesen Excel-Tabellen selbst kommen. Excel ist kein Allheilmittel; es hilft eben nur.
Kieran Chandler: Sprechen wir über die Lösung. White boxing – nach unserer Beobachtung ist White boxing in der Praxis selbst bei einigen trivialen numerischen Rezepten, sei es eine einfache Sicherheitsbestandsformel oder etwas, das nur geringfügig komplizierter ist als der gleitende Durchschnitt, eine Black Box. Es bedarf keiner KI, um einen Black-Box-Effekt zu erzielen. Ich meine, jedes lineare Modell mit drei Variablen, das die meisten Menschen nicht im Kopf berechnen können. So wird schon ein Modell, das so simpel ist wie ein lineares Modell mit drei Variablen, für die Menschen, die tatsächlich die Ergebnisse dieses Modells nutzen, sehr schnell relativ undurchsichtig.
Joannes Vermorel: Sobald man sich etwas Intelligenterem zuwendet, insbesondere etwas, das die Nichtlinearitäten erfasst, die in supply chains vorkommen, wird es nahezu by design undurchsichtig. Was man braucht, ist ein Prozess, den wir White boxing nennen, der vollständig darauf ausgerichtet ist, Transparenz und Einsichten wiederherzustellen – in dem Wissen, dass man standardmäßig genau das Gegenteil bekommt. Es gibt keine Alternative. Wenn nicht einmal ein Modell, das so simpel und zu simpel wie der Sicherheitsbestand ist, bereits undurchsichtig ist, kann man nicht hoffen, dass ein besseres, realistischeres Modell – wie etwa eines, das auf probabilistischen Prognosen und der probabilistischen Risikobewertung für Ihren Bestand basiert – weniger undurchsichtig ist. Im Gegenteil, es wird noch undurchsichtiger, viel genauer. Daher benötigen wir diesen White-boxing-Prozess, um Verständnis zu schaffen, Vertrauen aufzubauen und letztlich die Menschen aus gutem Grund von Excel-Tabellen abzubringen.
Kieran Chandler: Wie funktioniert das in der Praxis eigentlich? Wie überprüfen Sie die Ergebnisse, die Ihnen vorgelegt werden, und setzen diesen echten White-boxing-Ansatz um?
Joannes Vermorel: Ein kniffliger Aspekt ist, dass es sehr leicht passiert, dass Menschen in einem Meer von Kennzahlen untergehen. Werden Zahlen erzeugt, ist die Hauptreaktion, wenn man mit einer Black Box konfrontiert wird, zu sagen: “Gib mir mehr Indikatoren, erstelle mehr KPIs, ich will immer mehr sehen.” Aber wenn man das tut, landet man mit gigantischen Tabellen mit Dutzenden von Spalten, die dennoch völlig undurchsichtig und unglaublich komplex sind. Der Ausgangspunkt ist, dass wir ein paar Zahlen haben müssen, die außergewöhnlich gut ausgearbeitet sind, wenn wir Entscheidungen erklären wollen.
Erstens, eine Idee ist, dass Sie nicht alles erklären müssen, insbesondere keine numerischen Artefakte. Es interessiert Sie nicht wirklich, wie einige Zwischenschritte der Berechnung ablaufen. Was zählt, ist das Endergebnis, die Entscheidung, die einen physischen Einfluss auf Ihren supply chain hat. Sie entscheiden zu produzieren, Sie entscheiden, mehr zu kaufen, oder Sie entscheiden, den Bestand von einem Ort an einen anderen zu verlagern. Das ist das Endspiel, und darum geht es bei der Entscheidung.
White boxing bedeutet, dass es für jede einzelne Entscheidung vielleicht ein halbes Dutzend Kennzahlen gibt, die diese Entscheidungen erklären, gemessen in Dollar oder Euro. Die zweite Idee ist, Dollar und Euro zu verwenden, da das unternehmensweit mehr Sinn macht. Wenn Sie nachvollziehen können, warum Sie 100 zusätzliche Einheiten eines Produkts kaufen und eine Variable haben, die besagt: “Nun, das Risiko eines Bestandsausfalls beträgt 50.000 Euro, denn wenn uns dieses Teil ausgeht, stoppt die Produktionslinie”, dann können die Kosten des Bestandsausfalls viel höher sein als der Wert dessen, was Sie kaufen, wenn Sie eine Produktionslinie gefährden. Das sind die Einsichten, die die Leute gewinnen werden.
Kieran Chandler: Es gibt also diese wirtschaftlichen Treiber, die Sie anwenden. Worum geht es dabei? Wirtschaftliche Treiber sind äußerst nützlich, weil sie unternehmensweit vergleichbar sind. Sie haben eine Entscheidung, bei der es vielleicht ein halbes Dutzend wirtschaftliche Treiber gibt, und eine andere Art von Entscheidung mit anderen wirtschaftlichen Treibern, und Sie möchten, dass alle Ihre Messgrößen kompatibel sind, sodass man Äpfel mit Äpfeln und Orangen mit Orangen vergleichen kann. Wenn Sie Äpfel und Orangen haben, sind Sie irgendwie verloren. Genau das passiert typischerweise bei all diesen Prozentfehlern. Abgesehen von den wirtschaftlichen Treibern, was macht an Lokads Ansatz es aus, dass White-boxing so möglich ist? Wodurch unterscheidet er sich von anderen Techniken?
Joannes Vermorel: Dafür benötigt man Werkzeuge, und die meisten analytischen Systeme leisten bei der Unterstützung von White-boxing nicht so gute Arbeit. Excel ist tatsächlich ziemlich gut, weil man sehr nah an den Daten bleibt, aber es zerfällt, wenn die Komplexität und das Datenvolumen zunehmen. Excel ist hervorragend, solange man mit weniger als zehn Spalten und tausend Zeilen arbeitet. Wenn man anfängt, Millionen von Zeilen und Dutzende von Spalten zu verarbeiten, wird es schnell zu einem gigantischen Spaghetti-Code innerhalb der Excel-Tabelle. Excel ist bei begrenztem Umfang sehr gut, aber es scheitert, wenn es auf Komplexität trifft.
Viele analytische Systeme schaffen es nicht, irgendwelche der Eigenschaften von Excel beizubehalten, und die Daten entfernen sich sehr weit vom Nutzer. Bei Lokad haben wir Envision entwickelt, das den Begriff “vision” im Namen dieser Programmiersprache trägt, weil wir sehr nah an den Daten bleiben mussten, um all diese Excel-ähnlichen Validierungen ständig durchführen zu können. Envision macht es sehr einfach, wenn Sie Formeln erstellen, um alle Ihre Zahlen in einem Dashboard darzustellen, sodass Sie diese überprüfen können, so wie Sie es in Excel getan haben – nur zur Validierung.
Die Idee ist, dass wir hochkomplexe Dashboards erstellen können, in denen Ihre Haupttreiber prominent dargestellt werden, aber Sie viele kleine Kacheln haben, die all Ihre Prüfungen enthalten, ganz so, wie Sie es in Excel tun würden, sodass Sie überprüfen können, ob Ihre Berechnungen stimmig sind und Ihre Zwischenschritte nicht völlig aus den Fugen geraten.
Kieran Chandler: Wenn ich ein Unternehmen bin und eine piece of software nutze, die viele dieser Black-Box-Charakteristika aufweist, was sollte ich tun? Was sollte der erste Schritt sein, den ich unternehmen muss, um mein Verständnis dafür zu verbessern, was vor sich geht?
Joannes Vermorel: Zunächst müssen Sie eine gründliche Dokumentation darüber haben, was in das System eingeht. Üblicherweise existiert diese Dokumentation nicht. Um das klarzustellen: Es geht darum, eine Tabelle zu haben, die etwa eine Seite Dokumentation benötigt – nicht IT-Dokumentation, sondern supply chain-, geschäftsgetriebene Dokumentation.
Kieran Chandler: Wissen Sie, in der Zusammenarbeit mit Kunden sind wir im besten Fall zufrieden, wenn jedes Feld eine Zeile Dokumentation hat. Üblicherweise gibt es etwa 20 Tabellen, jede Tabelle 20 Felder, und wir haben kaum eine Zeile Dokumentation pro Tabelle. Wir sollten pro Feld eine Seite Dokumentation haben. Das ist also wahrscheinlich der Ausgangspunkt für die meisten Unternehmen: vollständig zu dokumentieren, was als Input ins System eingeht; andernfalls endet es mit Garbage In, Garbage Out.
Joannes Vermorel: Der zweite Punkt ist zu überprüfen, ob Ihre Datenverarbeitungsschichten, Ihre analytischen Schichten, Ihnen im Grunde die Agilität bieten, die Sie mit Excel haben. So können Sie mit ein paar Anweisungen oder einigen Codezeilen all diese einfachen Berichtsspalten hinzufügen, die Sie benötigen, um Ihre Logik zu debuggen. Leider können Sie den Programmieraspekt nicht vermeiden, denn wie bei Excel dreht sich alles um Formeln und dergleichen, also ist es Programmieren. Aber innerhalb weniger Codezeilen können Sie all diese Spalten erstellen. Wenn Sie kein System haben, das einen so agilen Prozess unterstützt, in dem Sie, wie in Excel, einfach Spalten zur Überprüfung von Zwischenberechnungen erstellen können, dann ist das im Grunde Spiel aus. Sie werden niemals bis zum Kern Ihrer Black Box vordringen.
Also, wahrscheinlich müssen Sie in diesem Schritt die analytische Schicht ändern, wenn Sie keine Schicht haben, die Ihnen irgendeine Art von Agilität bietet. Der nächste Schritt besteht darin, sehr gute wirtschaftliche Treiber zu entwickeln. Und mit „sehr gut“ meine ich, dass jeder einzelne Treiber so unabhängig wie möglich von den anderen sein muss. Sie möchten Dinge, die sehr orthogonal sind. Die Gefahr besteht darin, dass, wenn es Ihnen nicht gelingt, eine Reihe von Indikatoren zu entwickeln, die buchstäblich orthogonale Aspekte widerspiegeln, Sie dasselbe möglicherweise mehrfach betrachten und in die Irre geführt werden.
Das ist ein kniffliger Teil, aber die Idee ist, dass, wenn Sie einen wirtschaftlichen Indikator betrachten, der Ihnen €100 an Kosten oder Ertrag anzeigt, Sie sicherstellen wollen, dass er so unabhängig wie möglich von einem anderen Treiber ist, der ebenfalls behauptet, €100 an Ertrag oder Kosten zu verursachen.
Kieran Chandler: Die wichtigsten Punkte sind also wirklich, dass Sie Ihre Inputs und Outputs verstehen und diese wirtschaftlichen Treiber definieren. Abschließend, warum ist White-boxing so wichtig?
Joannes Vermorel: White-boxing ist so wichtig, weil ansonsten all Ihre Bemühungen, Ihre supply chain zu optimieren, ins Leere laufen. Die Leute werden – aus gutem Grund – wieder auf ihre Excel-Tabellen zurückgreifen, denn wenn Sie keinen White-boxing-Prozess implementiert haben, der allen die Sicherheit gibt, dass die Ergebnisse dieser Systeme vernünftig sind, stehen die Chancen überwältigend, dass Ihre Ergebnisse unsinnig sind. Die Leute handeln vernünftig, indem sie diesen Ergebnissen nicht trauen und auf ihre Excel-Tabellen zurückgreifen. Leider sind Excel-Tabellen die notwendige Lösung gegen Systemirrsinn. White-boxing ist erforderlich; andernfalls sollten Sie nicht erwarten, dass Ihre teams von supply chain practitioners bald auf ihre Excel-Tabellen verzichten. Das werden sie nicht, und indem sie das nicht tun, schützen sie Ihr Unternehmen, denn einem verrückten System zu vertrauen, ist viel schlimmer, als Zeit mit Excel-Tabellen zu verschwenden.
Kieran Chandler: Und wer hätte gedacht, dass viele Analysten vermutlich meinten, Excel verleihe einem den Wahnsinn, aber da haben Sie es. Das war also alles für diese Woche. Vielen Dank für Ihre Zeit, und wir sehen uns nächste Woche wieder. Danke fürs Zuschauen.