00:00:07 Einführung und Axelle Lemaires Hintergrund.
00:01:44 Überblick über Axelles neue Rolle als Global Head of Terra Numerata.
00:02:24 Was ist Digitalisierung und welche Auswirkungen hat sie auf Unternehmen.
00:03:50 Die Entwicklung der Digitalisierung und die Rolle der Startup-Kultur.
00:06:16 Herausforderungen, denen sich Startups heute stellen müssen, und die Bedeutung der Go-to-Market-Strategie.
00:08:00 Die Rolle der Investmentbanken in der französischen Tech-Szene.
00:09:25 Herausforderungen von supply chain-Netzwerkeffekten für Tech-Startups.
00:10:48 Vorteile von Datenanalytik und Transparenz in einer globalen supply chain.
00:12:00 Negative Seiten der Digitalisierung und die erhöhte Fragilität von Systemen.
00:14:01 Veränderungen in der Governance von IT-Abteilungen und im Risikomanagement.
00:16:00 Die Akzeptanz von Nicht-Null-Risiken und die Bedeutung einer smarten Priorisierung.
00:17:54 Die Herausforderungen und Nachteile von Passwortrotationen.
00:18:17 Digitale Trends für die Zukunft und der Einfluss von KI und maschinellem Lernen.
00:20:02 Neue Anwendungsfälle für maschinelles Lernen in verschiedenen Branchen erfinden.
00:22:45 Tech for good: Technologie nutzen, um einen positiven Einfluss auf die Umwelt zu erzielen.

Zusammenfassung

In dieser LokadTV-Episode interviewt Kieran Chandler Axelle Lemaire, ehemalige Ministerin für digitale Angelegenheiten, sowie Joannes Vermorel, Gründer von Lokad. Es wird über die Digitalisierung, die Rolle von Startups und die Bedeutung von Strategie, Denkweise und Kultur diskutiert. Lemaire betont die Digitalisierung als Transformationswerkzeug für Unternehmen, während Vermorel anmerkt, dass die Finanzierung für Startups kein großes Problem mehr darstellt. Sie sind sich einig, dass das wahre Potenzial von Datenanalytik und supply chain optimization nur auf globaler Ebene realisiert werden kann. Das Gespräch behandelt außerdem IT-Sicherheit, das Eingehen von Risiken, algorithmische Entwicklungen und “tech for good”, was den positiven Einfluss der Technologie unterstreicht.

Erweiterte Zusammenfassung

In dieser Episode von LokadTV interviewt Moderator Kieran Chandler Axelle Lemaire, ehemalige Ministerin für digitale Angelegenheiten unter François Hollandes Regierung und derzeitige Global Head of Terra Numerata, sowie Joannes Vermorel, Gründer von Lokad. Es wird ausführlicher über die Digitalisierung, die Rolle von Startups in der digitalen Industrie und die Bedeutung von Strategie, Denkweise und Kultur gesprochen.

Axelle Lemaire hat einen politischen Hintergrund und war von 2014 bis 2017 als Ministerin für digitale Angelegenheiten tätig sowie Abgeordnete, um die Franzosen im Ausland in Nordeuropa zu vertreten. Sie hat zur Entwicklung digitaler Politiken für Frankreich beigetragen und einen parlamentarischen Bericht darüber verfasst, was Europa benötigt, um zu einer digitalen Macht zu werden. Lemaire ist nun Global Head of Terra Numerata, einer offenen globalen Plattform und einem Ecosystem-Netzwerk von technologisch fortschrittlichen und innovativen Unternehmen, die gemeinsam mit Roland Berger, einer auf Strategie und Transformation spezialisierten Beratungsgesellschaft, an unterschiedlichen Kundenprojekten arbeiten.

Die Diskussion beginnt mit einem Überblick über die Digitalisierung, ein Thema, das bereits in früheren Episoden behandelt wurde. Vermorel weist darauf hin, dass Unternehmen in Europa und Nordamerika schon seit Jahrzehnten digital arbeiten, wobei nur sehr wenige noch auf Papierakten angewiesen sind. Rechnungen, Zahlungen und Aufzeichnungen werden heutzutage alle von Computern verarbeitet. Doch der Kern der Digitalisierung besteht nicht allein darin, physische Aufzeichnungen durch digitale zu ersetzen, sondern vielmehr darin, die Chance zu nutzen, Geschäftsmodelle mit den Möglichkeiten von Computer- und Netzwerktechnologien neu zu erfinden und zu überdenken.

Lemaire fügt hinzu, dass sich die Digitalisierung im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat – anfangs lag der Fokus noch auf der Dematerialisierung von Prozessen und Dokumenten, vor allem im öffentlichen Sektor. Danach folgte die Integration von E-Commerce in traditionelle stationäre Unternehmen, gefolgt von der wachsenden Bedeutung von Information und der Macht sozialer Netzwerke. In all diesen Phasen stand der Wandel und seine Formung durch Strategie, Denkweise und Kultur im Mittelpunkt.

Bezüglich der Rolle von Startups in der digitalen Industrie räumt Lemaire ein, dass der Markt lebendig ist und es zahlreiche Startups gibt, die versprechen, die digitale Landschaft zu revolutionieren. Sie meint, dass die Einsätze für diese Unternehmen hoch sind, da ihr Erfolg von ihrer Fähigkeit abhängt, sich an Veränderungen anzupassen und diese aktiv mitzugestalten – nicht nur durch technologische Innovation, sondern auch durch eine veränderte Denkweise und Kultur.

Die Diskussion beginnt damit, dass Axelle Lemaire erklärt, wie die Digitalisierung Geschäftsmodelle transformiert und traditionelle Industrieunternehmen in dienstleistungsorientierte Plattformen verwandelt, die in offenen Ökosystemen agieren. Dies erfordere spezifische Schulungen und ein Verständnis der Startup-Kultur, die auf Testen, Lernen und Zusammenarbeit setzt. Die Hauptschwierigkeit für Startups bestehe heute in der Go-to-Market-Strategie, da es weiterhin schwerfällt, mit großen Kunden zusammenzuarbeiten, Pilotprojekte oder Machbarkeitsstudien von einem Anwendungsfall in eine Lösung für alle Geschäftsbereiche zu überführen.

Joannes Vermorel stimmt Lemaire zu und fügt hinzu, dass die Finanzierung für Startups kein großes Problem mehr darstelle. Er nennt das Beispiel Station F in Frankreich, das mehrere Venture-Capital-Firmen beherbergt und Startups erhebliche Mittel bereitstellt. Die öffentliche Förderbank in Frankreich habe hierbei eine entscheidende Rolle gespielt, indem sie zusammen mit privaten VCs investierte und so die Startup-Szene vorantrieb.

Vermorel spricht anschließend die Herausforderungen an, denen sich sein Unternehmen Lokad stellen muss, wenn es darum geht, Pilotprojekte für supply chain optimization zu skalieren. Er erklärt, dass supply chain-Probleme von Natur aus netzwerkorientiert sind und kleine Pilotprojekte oft nicht den nötigen Mehrwert demonstrieren, weil sie der Komplexität nicht gerecht werden. Große Unternehmen zu gewinnen ist schwierig, da sie in vielen Ländern agieren und lokalisierte Lösungen benötigen.

Lemaire fügt hinzu, dass das wahre Potenzial von Datenanalytik und die Quantitative Supply Chain Optimierung nur auf globaler Ebene realisiert werden kann. Ein Pilotprojekt auf lokaler Ebene könnte den potenziellen Einfluss der Integration solcher Technologien nicht vollständig ausschöpfen.

Das Gespräch wechselt dann zu den möglichen negativen Aspekten einer zunehmenden Abhängigkeit von der Digitalisierung. Vermorel räumt ein, dass digitale Systeme Fragilität und Sicherheitsrisiken mit sich bringen können – er nennt als Beispiel Ransomware-Angriffe, die sich 2018 in großen Unternehmen rasch verbreiteten. Er schlägt vor, dass Unternehmen Maßnahmen ergreifen müssen, um ihre Systeme wider resilient zu machen.

Lemaire stimmt zu und merkt an, dass heutzutage ein größeres Bewusstsein für Cyberrisiken existiert als noch vor fünf Jahren. Unternehmen sind zunehmend bereit, in ihren Selbstschutz zu investieren, und IT departments spielen eine bedeutendere Rolle bei der Sicherstellung der IT-Sicherheit. Dennoch bleiben die Herausforderungen, Pilotprojekte zu skalieren, mit großen Kunden zusammenzuarbeiten und die potenziellen Nachteile der Digitalisierung anzugehen, bestehen – sowohl für Unternehmen als auch für Startups.

Das Gespräch dreht sich um digitale Technologien, das Eingehen von Risiken in einer digitalen Welt, algorithmische Entwicklungen und die Rolle der Technologie bei der Erzeugung positiver Effekte.

Zunächst wird beleuchtet, wie IT-Abteilungen von einer reinen Ablehnung hin zu einem strategischen Vorteil innerhalb von Organisationen übergegangen sind. Sie arbeiten nun enger mit Innovationsabteilungen und Geschäftsbereichen zusammen, was zu einer schnelleren Umsetzung von Lösungen führt.

Die Diskussion geht dann auf das Konzept des Risikos ein. Axelle Lemaire behauptet, dass Führungskräfte verstehen müssen, dass in einer digitalen Welt kein Nullrisiko existiert. Joannes Vermorel fügt hinzu, dass das Eingehen von Risiken eine intelligente Priorisierung von Investitionen und Minderungsstrategien erfordere. So ist die Idee perfekter Nachfrageprognosen im Fast Fashion-Bereich Wunschdenken. Stattdessen sollten Unternehmen probabilistische Vorhersagen verwenden, die ein gewisses Maß an Risiko akzeptieren. Dabei geht es darum, die einflussreichsten Probleme zu priorisieren und gezielt anzugehen.

Das Gespräch berührt auch das Thema IT-Sicherheit. Ein Beispiel ist die Debatte um Passwortrotation, die in manchen Fällen als schädlich angesehen wird. Das häufige Ändern von Passwörtern kann zu unsicheren Praktiken führen, wie dem Aufschreiben von Passwörtern auf leicht zugänglichen Zetteln.

Joannes Vermorel stimmt Lemaire zu und betont die Wichtigkeit, neue Anwendungsfälle für Technologien in Bereichen wie dem supply chain management zu erfinden. Er nennt das Beispiel eines Fast Fashion-CEOs, der Interesse daran zeigte, Technologie zu nutzen, um die Entstehung neuer Bestseller vorherzusagen. Ziel sei es nicht, Designer zu ersetzen, sondern ihnen zu ermöglichen, sich auf die Bereiche zu konzentrieren, die den größten Einfluss auf ihr Geschäft haben.

Abschließend hebt Axelle Lemaire den Trend von “tech for good” hervor, bei dem Technologie eingesetzt wird, um positive Einflüsse auf Umwelt und Gesellschaft zu erzielen. Durch das Finden passender Anwendungsfälle kann Technologie dazu beitragen, negative externe Effekte zu mindern und positive Ergebnisse zu erzielen – etwa indem in der Fast Fashion lokal und bedarfsorientiert produziert wird, was Überproduktion reduziert und die Umweltbelastung verringert.

Komplettes Transkript

Kieran Chandler: Heute werden wir Axelles Ansichten zum Thema Digitalisierung einholen und verstehen, wie sie in ihrer neuen Rolle Startups und Technologieunternehmen zusammenbringt, um sie in einer zunehmend wettbewerbsintensiveren digitalen Welt zu vereinen. Axelle, vielen Dank, dass du heute bei uns bist.

Axelle Lemaire: Freut mich.

Kieran Chandler: Vielleicht könntest du uns ein wenig mehr über deinen Hintergrund erzählen. Es klingt sehr interessant und abwechslungsreich.

Axelle Lemaire: Ja, ich war von 2014 bis 2017 als Regierungsministerin für Innovation und digitale Angelegenheiten – also für digitale Politiken in Frankreich – tätig. Es war ein außergewöhnlicher Job in dem Moment, als die Welt die Kraft der Startups entdeckte und digitale Innovation Geschäftsmodelle verändern sollte. Davor wurde ich als Abgeordnete gewählt, um die im Ausland lebenden Franzosen in Nordeuropa zu vertreten, und in dieser Zeit schrieb ich einen parlamentarischen Bericht darüber, was Europa braucht, um zu einer digitalen Macht zu werden.

Kieran Chandler: Und nun arbeitest du als Global Head of Terra Numerata. Könntest du uns auch dazu ein wenig mehr erzählen?

Axelle Lemaire: Natürlich. Roland Berger ist eine globale Beratungsgesellschaft, die sich auf Strategie und Transformation spezialisiert hat – ursprünglich deutscher Herkunft, aber mittlerweile sehr international. Terra Numerata ist eine Art offene, globale Plattform, ein Ecosystem-Netzwerk von Unternehmen, vorwiegend technologisch und innovativ, mit denen wir an Projekten arbeiten, die wir unseren Kunden liefern.

Kieran Chandler: Okay, großartig. Und wie immer ist Joannes auch dabei. Heute sprechen wir ein wenig mehr über die Digitalisierung – ein Thema, das wir in einigen früheren Episoden besprochen haben, aber ein kurzer Überblick darüber wäre sicher hilfreich.

Joannes Vermorel: Es ist interessant festzustellen, dass Unternehmen – zumindest in Europa und Nordamerika – schon seit Jahrzehnten digital arbeiten. Es gibt nur sehr wenige Firmen, die noch auf Papierakten angewiesen sind. Heutzutage werden Rechnungen, Zahlungen und Aufzeichnungen alle von Computern verarbeitet. Dennoch besteht der Kern der Digitalisierung nicht nur darin, das physische Papierdokument zu digitalisieren, sondern vielmehr darin, die Chance zu nutzen, sich mit den Möglichkeiten von Computer- und Netzwerktechnologien neu zu erfinden und die eigene Arbeitsweise grundlegend zu überdenken. Ich glaube, der Kern der Digitalisierung liegt darin, digitale Fähigkeiten nicht bloß als Buchhalter zu sehen, die deine Daten – wie früher auf Papier – erfassen, wenn auch etwas schneller und fehlerärmer, sondern vielmehr darin, völlig neu zu denken, wie man Dinge auf eine weitaus effizientere und wettbewerbsfähigere Weise erledigt.

Kieran Chandler: Und du hast zu Beginn, Axelle, erwähnt, dass du viel mit Startups gearbeitet hast. Es ist wirklich ein lebendiger Markt – es scheint, als gäbe es jeden Tag neue Startups, die versprechen, die digitale Branche völlig zu revolutionieren. Wie siehst du das?

Axelle Lemaire: Nun, in der Geschichte der Digitalisierung stimme ich zu, dass wir an einen Punkt gelangt sind, an dem es nicht nur um diese wunderbaren Startups geht, sondern auch um den Wandel, der von Strategie, Denkweise und Kultur abhängt. Vor einigen Jahren bedeutete Digitalisierung noch die Dematerialisierung von Prozessen, Dokumenten usw. – im öffentlichen Sektor, in der Regierung, dachte man an die Dematerialisierung von…

Kieran Chandler: E-Commerce hat zunehmend damit zu tun, wie ein stationäres Unternehmen auch eine Online-Dimension besitzen kann. Es geht auch um Information und die Macht sozialer Netzwerke. Wie integrierst du als Bürgerin, Regierungsmitglied oder Geschäftsperson diese Dimension? Vielleicht durch die Einführung eines kollaborativen Arbeitswerkzeugs für dein Unternehmen?

Axelle Lemaire: Jetzt geht es bei der Digitalisierung wirklich darum, Geschäftsmodelle zu transformieren. Ein klassisches Industrieunternehmen hat sich in ein dienstleistungsorientiertes Unternehmen verwandelt – eine Plattform, die dank eines offenen Ökosystems Dienstleistungen anbietet. Dies kann nur geschehen, wenn die Menschen gezielt geschult werden, die Startup-Kultur verstehen, testen und lernen und akzeptieren, dass Scheitern in Ordnung ist. Es ist eine kollektivere und kollaborativere Herausforderung. Die Startup-Szene ist in Frankreich und weltweit lebendig. Wir haben den Punkt erreicht, an dem die Finanzierung kein großes Thema mehr ist. Die Hauptschwierigkeit für Startups liegt heute in ihrer Go-to-Market-Strategie. Es bleibt nach wie vor schwierig, mit großen Kunden weltweit zusammenzuarbeiten, Pilotprojekte oder Proof-of-Concepts von einem Anwendungsfall in potenzielle Anwendungen für alle Geschäftsbereiche zu überführen und dabei das volle Potenzial von Technologien auszuschöpfen.

Kieran Chandler: Was meinst du, Joannes? Vor zehn Jahren warst du eines dieser kleinen Startups. Jetzt bist du etwas größer geworden und sitzt in der Nähe von Station F, wo es ebenfalls viele Startups gibt.

Joannes Vermorel: Ich stimme Axelle voll und ganz zu. Die Finanzierung war früher ein großes Problem, aber heute nicht mehr so sehr. Am Station F, das 200 Meter von hier entfernt liegt, gibt es ein halbes Dutzend VCs mit eigenen Büros vor Ort, und es gibt Dutzende Startups, die direkten Zugang zu VCs haben, die über erhebliche finanzielle Mittel verfügen. Insgesamt sprechen wir von mehreren Milliarden Euro. Als ich vor 11 Jahren Lokad gründete, denke ich, dass das gesamte Jahresbudget für französische VC-Finanzierungen etwa eine halbe Milliarde Euro betrug. Die öffentliche Investitionsbank in Frankreich, Bpifrance, spielte eine große Rolle, weil sie die Investment-Szene ankurbelte und zusammen mit privaten VCs co-investierte, einschließlich ausländischer Fonds, die anfangs skeptisch waren. Das gab dem Ganzen wirklich den nötigen Schub. Was die Transformation eines Piloten betrifft, so ist eine der größten Herausforderungen, die wir in der supply chain haben, dass es ganz auf Netzwerkeffekte ankommt. In der supply chain löst die naive Herangehensweise an Probleme diese meistens nicht, sondern verlagert sie. Zum Beispiel, wenn du ein Einzelhandelsnetzwerk mit vielen Filialen hast und dich entscheidest, einen Laden intensiv auf Bestandskontrolle zu fokussieren, kann dieser Laden reibungslos laufen – zulasten der anderen Filialen. So hast du an einer Stelle ein Problem gelöst, aber an einer anderen Probleme geschaffen. Darum geht es in der supply chain: Wann immer du Inventar zuteilst, sind Netzwerkeffekte zu berücksichtigen.

Kieran Chandler: An einer Stelle kann dasselbe Inventar fehlen, das an einer anderen vorhanden ist, was die Probleme für Lokad noch komplizierter macht, da Pilotprojekte im kleinen Maßstab meistens gar nicht funktionieren. Genau wegen der Tatsache, dass supply chain Probleme alle Netzwerkprobleme sind und man den Wert dessen, was man tut, nicht wirklich lokal demonstrieren kann, bleibt das Problem dasselbe. Wir hatten Schwierigkeiten, größere Unternehmen zu erobern, weil sie komplex sind und in vielen Ländern operieren. Wir setzen immer noch auf die Venture-Idee für den Umsatz außerhalb Frankreichs, aber in vielen Ländern haben wir keine physische Präsenz. Wir sind noch immer ausschließlich in Paris, Frankreich, ansässig – was zwar ein schöner Ort ist, aber gerade im Bereich supply chain, wo das Umfeld für ein multinationales Unternehmen mit verschiedenen Büros rund um den Globus komplex ist.

Joannes Vermorel: Dann bewirken Datenanalysen und die Kraft der die Quantitative Supply Chain tatsächlich, dass die Realität offengelegt und transparent gemacht wird. Sobald dies sichtbar wird, können Entscheidungen auf einer globaleren Ebene getroffen werden. Wenn du dich jedoch auf die untere oder mittlere Ebene beschränkst, nutzt du nicht den vollen möglichen Einfluss, solche Technologien zu integrieren. Deshalb ist es so schwierig, einen lokalen Pilotversuch zu starten, wenn man weiß, dass das Potenzial erst auf globaler Ebene ausgeschöpft wird.

Kieran Chandler: Siehst du irgendwelche negativen Seiten an dieser zunehmenden Abhängigkeit von der Digitalisierung? Ich meine, man denke nur an ein Beispiel wie im letzten Jahr am Gatwick Airport, wo das gesamte Abflug- und Ankunftssystem ausgefallen ist, was zu enormen Verspätungen geführt und dazu geführt hat, dass Leute Flugzeiten auf Whiteboards notierten – was absolutes Chaos verursachte. Gibt es wirkliche negative Aspekte dieser Digitalisierung?

Joannes Vermorel: Offensichtlich begreifen das nur wenige Unternehmen, aber es gibt eine gewisse Fragilität, die mit hochentwickelten digitalen Systemen einhergeht. Sie können zwar sehr robust gemacht werden, aber das bedeutet nicht zwingend, dass viele Unternehmen Maßnahmen ergriffen haben, um sie besonders widerstandsfähig zu machen. Zum Beispiel gab es 2018 eine Welle von Ransomware, die viele große Unternehmen traf. Es war beeindruckend zu sehen, dass sich die Ransomware – ein Virus, bei dem man Lösegeld in Bitcoin zahlen muss, um die Situation wiederherzustellen – innerhalb von 24 Stunden in allen Ländern der betroffenen Unternehmen ausbreitete. Gerade weil überall dasselbe System eingesetzt wurde, ist der Vorteil, dass Systeme komplett kompatibel und abgestimmt sind: Wenn ein Sicherheitsproblem auftritt, ist es überall dasselbe. Im Gegensatz dazu, wenn es ein totales Durcheinander mit unterschiedlichen ERPs und inkompatiblen Systemen ist, bedeutet der Zugang zu einem System nicht automatisch, dass man auch Zugang zu allen Systemen erhält.

Axelle Lemaire: Was ich in Bezug auf die Governance von Organisationen sehe, ist, dass es nun – ja – eindeutig ein echtes Bewusstsein für Cyberrisiken gibt, was vor fünf Jahren noch nicht der Fall war. Glaub mir, als wir vor fünf Jahren die nationale Strategie für den Cyber-Schutz in Frankreich lancierten, war das noch ziemlich neu, und die Unternehmen waren nicht bereit, die notwendigen Investitionen zu tätigen, um sich zu schützen. Das ändert sich jedoch allmählich. Das bedeutet, dass die IT-Abteilung nicht mehr nur als die Einheit gesehen wird, die zu allem Nein sagt. Sie haben sich zu einem strategischen Asset entwickelt, sodass sie in gewisser Weise wieder an Bedeutung gewinnen und enger mit der Innovationsabteilung sowie den Geschäftseinheiten zusammenarbeiten.

Es ist interessant zu sehen, und ich nehme an, dass die reinen Pure Players keine eigene IT-Abteilung haben. Digitale Technologien stehen so sehr im Mittelpunkt ihres Geschäftsmodells. Aber in klassischeren Organisationen beobachten wir diesen Wandel, dass die IT näher am data officer, am chief digital officer und am chief innovation officer arbeitet, und sie

Kieran Chandler: Zusammen mit einer verkürzten Markteinführungszeit ist das interessant, aber ich glaube immer noch, dass Führungskräfte nicht verstehen, dass ein Risiko von null nicht existiert. In einer digitalen Welt müssen wir zugeben und akzeptieren, dass wir – trotz aller notwendigen Investitionen in den Schutz – in einer riskanten Welt leben. Das hat viele Konsequenzen in Bezug auf Verträge, oder?

Joannes Vermorel: Das ist sehr interessant, weil die Risikofrage äußerst spannend ist. Zum Beispiel sehen wir, dass eines der Schlüsselinstrumente von Lokad die probabilistische Prognose ist. Wir geben die Idee perfekter Nachfrageprognosen auf – sie bleiben für immer unscharf. Vor allem, wenn man an Fast Fashion denkt, ist es ein wenig Wunschdenken, zu glauben, dass man perfekte Prognosen haben und somit ein Null-Risiko von Fehlbeständen erreichen kann. Und dennoch, wenn wir uns etwas zuwenden, das die Tatsache anerkennt, dass null Risiko nicht existiert, stehen wir weiterhin vor schwierigen Situationen, weil Unternehmen sich mit den Konsequenzen auseinandersetzen müssen.

Axelle Lemaire: Man muss also tief verinnerlichen, dass es Wunschdenken ist, ein Null-Risiko anzustreben. Es läuft dann darauf hinaus, dass man seine Investitionen sehr klug priorisiert und versucht, das Risiko zu mindern. Denn das Aufgeben des Null-Risikos bedeutet nicht, dass man nichts unternimmt, um Risiken zu bewerten. Unserer Auffassung nach heißt es im Gegenteil, dass man sehr smart bei der Priorisierung vorgehen muss. Wenn man von einem Null-Risiko spricht, muss man nichts priorisieren. Das ist das Schöne daran – man sagt: Wir werden jedes einzelne Problem angehen, Punkt. Also muss man akzeptieren, dass ein Null-Risiko nicht existiert, was zu einer intelligenten Priorisierung dessen führt, was man tut.

Joannes Vermorel: Und hier ist es sehr interessant, denn wir sehen, dass all das so viele unterschiedliche Aspekte umfasst. Beispielsweise konzentriert man sich häufig sehr einseitig auf reine IT-Sicherheit. In den USA gilt etwa die Empfehlung, dass Menschen ihre Passwörter regelmäßig rotieren sollen, mittlerweile als schädlich. Sie verursacht tatsächlich mehr Probleme, als sie löst, denn wenn man von den Menschen verlangt, ihr Passwort jeden Monat zu ändern, haben die meisten am Ende einen Aufkleber an ihrem Computer, auf dem ihr Passwort notiert ist. Es wurde beobachtet, dass egal wie viel Schulung man den Menschen zukommen lässt, sie es trotzdem tun. Also, hören wir auf, diese Passwörter ständig zu rotieren – das schafft tatsächlich mehr Probleme.

Kieran Chandler: Ich stimme dem, was du über die Passwörter sagst, absolut zu. Bei mir sprießen gerade Passwörter aus allen Ecken, und ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll.

Axelle Lemaire: Du kannst dir einfach eine anständige Lizenz mit einer guten App zulegen, die automatisch deine Passwörter generiert, und dann ist alles geregelt.

Kieran Chandler: Fangen wir nun an, die Dinge ein wenig zusammenzufassen, und schauen uns einige digitale Trends für die Zukunft an. Was ist spannend, was steht bevor, und welche Chancen siehst du daraus?

Axelle Lemaire: Da ich jetzt als Beraterin arbeite, fangen die Leute an zu lachen, wenn ich über KI spreche, oder? Denn wenn man data scientists nach künstlicher Intelligenz fragt, sagen sie, dass KI nur für PowerPoint-Präsentationen gedacht sei und nicht für das wirkliche Leben. Trotzdem sehe ich täglich viele Startups, und mir wird bewusst, wie transformativ die algorithmischen Entwicklungen, basierend auf Machine Learning und deep learning, für die Transformation von Organisationen sind. Das mag zwar nicht der langfristige Trend der Quanteninformatik oder des Quantencomputings sein, aber innerhalb der nächsten zwei bis drei oder vier Jahre.

Kieran Chandler: Die größte spannende Herausforderung wird sein, die Einführung dieser Technologien zu managen und sie an Organisationen anzupassen. Für mich dreht sich alles um Machine Learning und Deep Learning, oder? Denn wir stehen noch ganz am Anfang und kämpfen damit, nicht die einfachen Anwendungsfälle – meist rund um Kostenoptimierung oder -reduktion – zu identifizieren, sondern wirklich neue Anwendungsfälle und Mehrwert zu entwickeln. Es geht darum, Unternehmen beim Übergang zu neuen Geschäftsfeldern dank der richtigen algorithmischen Entwicklung zu unterstützen. Das ist für mich der spannendste Trend. Wir stecken mitten drin. Würdest du dem in gewissem Maße zustimmen, mit dem Aufkommen von differenzierbares Programmieren und Ähnlichem?

Joannes Vermorel: Absolut, es ist eine Herausforderung, neue Anwendungsfälle zu entwickeln. Zum Beispiel gibt es in der supply chain seit Jahrzehnten den Einsatz von statistischem Lernen und Machine Learning zur Nachfrageprognose. Die klassische Herangehensweise ist sehr eng – man nimmt ein Produkt, das sich bereits verkauft, und verlängert die Zeitreihen der Verkäufe in die Zukunft. Das ist Machine Learning, doch es ist auch eine sehr eingeschränkte und beinahe veraltete Sichtweise. Vor einer Woche traf ich mich mit dem CEO einer dynamischen Fast-Fashion-Marke, und diese Person interessierte sich für dieselbe Art von Technologie, angewandt auf die Entstehung neuer Bestseller für ihre Fast-Fashion-Marke. Es ist ein anderes Problem, denn was nützt es, die Nachfrage nach einem schlechten Produkt zu prognostizieren? Es wird keinen Markterfolg erzielen. Ja, ich bekomme die Prognose, aber sie wird nichts wirklich Gutes für mein Geschäft bewirken. Sie wird zwar den Überschuss an Inventar für dieses schlecht performende Produkt begrenzen, aber sie löst nicht das Kernproblem, nämlich wie man Marktanteile gewinnt, indem man Produkte vor den Mitbewerbern auf den Markt bringt, die den Zeitgeist richtig treffen. Können wir eine Maschine haben, die Designer nicht ersetzt, ihnen aber hilft, den Bereich zu identifizieren, auf den sie sich konzentrieren sollten?

Axelle Lemaire: Das ist sehr interessant, denn technisch gesehen ist es keine radikal neue Technologie, aber es ist dennoch neu in der Frage, wie diese Technologie im Geschäft angewendet werden sollte. Abschließend sehe ich einen Trend zu Tech for Good und Technologien mit positivem Impact. Wenn man an das gerade erwähnte Beispiel denkt – Fast Fashion und Tech for Good – wie können Technologien helfen, den Klimawandel zu bekämpfen? Findet man den richtigen Anwendungsfall, um Fast-Fashion-Produzenten dabei zu unterstützen, lokal gemäß der lokalen Nachfrage und den tatsächlich benötigten Mengen zu produzieren, dann wird nicht überproduziert. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie negative externe Effekte gemindert und – noch besser – positive Wirkungen erzielt werden können, besonders für die Umwelt, dank Technologien, aber auch durch die Bewältigung von Geschäftsherausforderungen. Für mich wird die Frage, wie Technologien einem breiteren Interesse – nicht nur dem Geschäftlichen – dienen können, in den kommenden Jahren der Schlüssel für die Zukunft sein.

Kieran Chandler: Großartig, ein schöner positiver Abschluss. Vielen Dank euch beiden für eure Zeit heute Morgen.

Joannes Vermorel: Danke.

Axelle Lemaire: Danke.

Kieran Chandler: Das war alles für diese Woche. Vielen Dank fürs Einschalten, und wir sehen uns beim nächsten Mal wieder. Tschüss fürs Erste.