00:00:07 Einführung und Professor Bram Desmets Hintergrund.
00:01:43 Verknüpfung von Strategie, Finanzen und supply chain zur Optimierung des Inventars.
00:03:25 Erklärung des supply chain-Dreiecks und dessen Bedeutung für die Wertschöpfung.
00:06:28 Unabhängigkeit der supply chain vom S&OP-Prozess und deren Rolle in der strategischen Planung.
00:08:13 supply chain als Herausforderer in der strategischen Planung und im S&OP-Prozess.
00:09:02 Die Rolle der supply chain in der strategischen und finanziellen Planung.
00:10:57 Verantwortung der supply chain beim Ausbalancieren des Dreiecks.
00:12:11 Jonas’ Gedanken zum S&OP und dessen Effizienz in der Entscheidungsfindung.
00:15:20 Die Nachteile des traditionellen S&OP und dessen Ursprünge in der Zeit vor der Software.
00:17:09 Die Notwendigkeit einer quantitativ orientierten und strategiegetriebenen Perspektive im S&OP.
00:17:50 Bedeutung von Granularität in Prognosen.
00:18:51 Die Gründung des Strategy Driven Supply Chain Institute.
00:20:22 CEOs und CFOs investieren nicht ausreichend in Planungsprozesse und -systeme.
00:22:00 Das Ziel des Strategy Driven Institute, das Wissen in Führungsteams zu verbessern.
00:24:01 Die Kommodifizierung von ERPs und der Bedarf an Investitionen in supply chain-Fähigkeiten.
00:26:59 ERP-Investitionen und ihre Beziehung zur elektronischen Buchführung.
00:29:14 Unternehmen unterschätzen die supply chain und deren Einfluss auf die Gewinnung von Talenten.
00:32:33 Die Verbindung zwischen Einstiegsaufgaben im supply chain management und der Förderung von Talenten für strategische Positionen.
00:33:18 Das Verständnis der Finanzen für Inventar und dessen Verbindung zu Service- und Kosteneinflüssen.
00:35:00 Die Rolle des Cashflows bei der Tilgung von Krediten und dessen Auswirkung auf das Umlaufvermögen und Investitionen.

Zusammenfassung

In einem Interview diskutieren Bram Desmet und Joannes Vermorel die Bedeutung der Integration von Strategie, supply chain und Finanzen für einen Wettbewerbsvorteil im Geschäft. Sie betonen die Notwendigkeit, das supply chain-Dreieck aus Service, Kosten und Cash auszubalancieren, und kritisieren den traditionellen Sales & Operations Planning (S&OP)-Prozess als unzureichend, um dieses Gleichgewicht zu erreichen. Desmet schlägt vor, dass supply chain management mehr Verantwortung in der strategischen und finanziellen Planung übernehmen sollte, während Vermorel dazu aufruft, Software und Automatisierung zur Verbesserung der decision-making zu nutzen. Die Diskussion hebt die Notwendigkeit eines Denkweisenwandels hervor, wonach supply chain management als strategische Funktion und nicht nur als Buchhaltung betrachtet werden sollte.

Erweiterte Zusammenfassung

In diesem Interview spricht Nicole Zint, die Moderatorin, mit Joannes Vermorel, dem Gründer von Lokad, und Bram Desmet, Professor, Keynote-Speaker und Gründer des Strategy-Driven Supply Chain Institute. Die Diskussion dreht sich darum, wie Strategie, supply chain und Finanzen, wenn sie korrekt integriert werden, einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können. Bram Desmet hat zu diesem Thema ein neues Buch geschrieben, mit dem Titel “The Strategy Driven Supply Chain.”

Bram Desmet beginnt mit einer kurzen Einführung in seine Person, in der er seinen Hintergrund in IT, der supply chain-Beratung und seine Promotion im Bereich der Inventaroptimierung erwähnt. Er berichtet, wie er während seiner Lehrtätigkeit an der Vlerick Business School begann, Fragen wie “Wie viel Inventar benötigt ein Unternehmen wirklich?” zu analysieren, was ihn dazu führte, die Bereiche Strategie, Finanzen und supply chain miteinander zu verknüpfen. Desmet ist der Ansicht, dass die Verbindung dieser Bereiche entscheidend ist, um die finanzielle Performance eines Unternehmens zu verbessern und dessen Strategie umzusetzen. Er betont, dass es unerlässlich ist, die supply chain strategiegetriebener zu gestalten oder, anders ausgedrückt, die Strategie supply chain-orientierter zu machen, besonders im Hinblick auf jüngste globale Ereignisse wie die COVID-19-Pandemie und den Ukraine-Russland-Konflikt.

Desmet erklärt kurz das supply chain-Dreieck, ein Konzept, das in einer früheren Episode behandelt wurde. Das Dreieck unterstreicht die Bedeutung der Integration von Strategie, Finanzen und supply chain management. Es hebt auch hervor, dass Organisationen diese Aspekte ihrer Abläufe aufeinander abstimmen müssen, um Erfolg zu haben.

Im Verlauf des Interviews bringt Desmet mehrere Beispiele und Vergleiche, um seine Argumente zu verdeutlichen. Er erwähnt, dass unterschiedliche Strategien zu verschiedenen Inventarniveaus führen können, und nennt als Beispiel Aldi und Carrefour. Aldi, mit einem kleineren Sortiment, hätte aufgrund der unterschiedlichen Strategien sicherlich niedrigere Inventarniveaus als Carrefour.

Das Gespräch untersucht weiterhin die Bedeutung von supply chain management in der aktuellen Geschäftswelt, in der disruptions erhebliche Probleme für Unternehmen verursachen können. Desmet argumentiert, dass CEOs mittlerweile erkennen, dass eine funktionierende supply chain entscheidend dafür ist, dass ihre Unternehmen florieren.

Das Interview konzentriert sich auf die Bedeutung der Integration von Strategie, supply chain und Finanzen, um einen Wettbewerbsvorteil im Geschäft zu erzielen. Bram Desmets Buch “The Strategy Driven Supply Chain” geht vertieft auf dieses Thema ein und bietet wertvolle Einblicke und Handlungsempfehlungen für Organisationen, die diese kritischen Aspekte ihrer Abläufe in Einklang bringen möchten.

Die Diskussion drehte sich um supply chain management, das Ausbalancieren von Service, Kosten und Cash sowie die Rolle von Sales & Operations Planning (S&OP) in modernen Unternehmen.

Bram Desmet betont die Bedeutung, das supply chain-Dreieck aus Service, Kosten und Cash auszubalancieren, was für die Wertschöpfung in einem Unternehmen entscheidend ist. Er erklärt, dass das Ausbalancieren des Dreiecks verpflichtend und nicht optional ist und mit den finanziellen Kennzahlen und der Performance eines Unternehmens verknüpft ist. Desmet ist der Ansicht, dass der S&OP Prozess, obwohl er hilfreich ist, für das Ausbalancieren des Dreiecks unzureichend ist, da er eine strategische Perspektive erfordert.

Desmet schlägt vor, dass supply chain management für die strategische Planung verantwortlich sein sollte, die Unternehmensstrategie herausfordert und sicherstellt, dass sie mit der supply chain in Einklang steht. Er meint auch, dass supply chain management eine Rolle in der Finanzplanung spielen sollte, indem es die Planungsprozesse konsolidiert und das Dreieck ausbalanciert. Desmet erkennt an, dass dieser Vorschlag für Fachkräfte im Bereich supply chain herausfordernd sein könnte, da er sie dazu zwingen würde, ihre Komfortzone zu verlassen und mehr strategische Verantwortung zu übernehmen.

Joannes Vermorel äußert seine Perspektive auf die Rolle von S&OP in Unternehmen. Er meint, dass S&OP als Methode zur Organisation von Diskussionen möglicherweise nicht effizient genug ist, um die Vielzahl an Entscheidungen in modern supply chains zu bewältigen. Vermorel sieht S&OP als einen Prozess, der in einer Welt entstand, in der es keine Software gab und die Denkweise, die Büroarbeit zu mechanisieren, noch nicht etabliert war.

Vermorel kritisiert das Fehlen einer ausgeprägten quantitativen Perspektive in traditionellen S&OP-Prozessen, insbesondere wenn es um die Einbindung finanzieller Kennzahlen geht. Er argumentiert, dass der S&OP-Prozess an die moderne Welt angepasst werden sollte, indem Software und Automatisierung genutzt werden, um die Entscheidungsfindung zu verbessern und Wert zu generieren.

Zusammenfassend erkennen sowohl Desmet als auch Vermorel die Bedeutung des Ausbalancierens des supply chain-Dreiecks aus Service, Kosten und Cash an, sind jedoch der Meinung, dass der traditionelle S&OP-Prozess nicht ausreicht, um dieses Gleichgewicht zu erreichen. Desmet schlägt vor, dass supply chain management mehr Verantwortung in der strategischen und finanziellen Planung übernehmen sollte, während Vermorel dazu aufruft, Software und Automatisierung zur Verbesserung der Entscheidungsfindung im supply chain management einzusetzen.

Die Bedeutung der supply chain-Optimierung für Unternehmen. Vermorel betont die Wichtigkeit von Granularität in der forecasting accuracy und das Fehlen strategischer Zielsetzungen im supply chain management. Unterdessen weist Desmet auf das mangelnde Wissen über supply chain management im Führungskreis hin und kritisiert, dass in ERPs investiert wird, anstatt in Planungssysteme. Beide Experten sind sich einig, dass die supply chain-Optimierung in erfolgreichen Unternehmen oft übersehen wird, was zu einer Widerwilligkeit führt, etwas zu verändern. Vermorel stellt fest, dass ERPs überteuert sind für das, was sie tatsächlich leisten, und dass die eigentliche Investition in analytische Kraftpakete fließen sollte. Die Diskussion hebt die Notwendigkeit einer besseren Ausbildung im Bereich supply chain management und eines Wandels in der Denkweise hervor, wonach supply chain management als strategische Funktion und nicht nur als Buchhaltung zu verstehen ist.

Sie erörtern, warum Unternehmen möglicherweise zögern, ihre supply chains zu überprüfen, und betonen die Bedeutung von supply chain management in einer Organisation.

Vermorel ist der Ansicht, dass ein Grund, weshalb Unternehmen die Bedeutung von supply chain management unterschätzen, darin liegt, dass die Personen in diesen Rollen nicht als das Elitepersonal innerhalb einer Organisation angesehen werden. Auf Einstiegsniveau verbringen supply chain-Mitarbeiter ihre Tage damit, Excel spreadsheets zu verwalten und Inventar im Mikromanagement zu betreiben, was im Vergleich zu den strategischeren Rollen in Finanzen oder Consulting wenig vorteilhaft erscheint. Diese Wahrnehmung der Wertigkeit erschwert es dem supply chain management, Top-Talente zu gewinnen und denjenigen im Bereich den Aufstieg in strategische Positionen innerhalb des Unternehmens zu ermöglichen.

Desmet hingegen konzentriert sich auf die finanziellen Aspekte des supply chain management. Er erklärt, dass Unternehmen nicht aufgrund von Verlusten in Konkurs gehen, sondern wegen mangelnder Liquidität. Er erörtert, wie Startup-Unternehmen jahrelang überleben können, ohne Gewinn zu erzielen, solange sie ausreichend Investitionen anziehen können. Dieses Prinzip gilt auch für etabliertere Unternehmen, in denen Cashflow und Cash-Generierung entscheidende Faktoren sind.

Desmet stellt fest, dass Finanzabteilungen inventory management und deren Verbindung zu Service- und Kosteneinflüssen oft missverstehen. Wenn Unternehmen Cash generieren müssen, reduzieren sie möglicherweise ihr Inventar, stoppen Investitionen (Capex) oder hören auf, Kredite zurückzuzahlen. Finanzabteilungen priorisieren jedoch die Tilgung von Krediten und die Aufrechterhaltung von Capex gegenüber inventory management. Dieser Ansatz setzt das supply chain management erheblich unter Druck, da von ihm erwartet wird, das Inventar zu reduzieren, ohne die vollständigen Konsequenzen zu verstehen.

Die Interviewten argumentieren, dass supply chain management mehr Respekt entgegengebracht werden sollte und eine wesentlich stärkere Rolle in strategischen und finanziellen Diskussionen zukommen muss. Desmet schlägt vor, dass bessere Planungssysteme und -fähigkeiten dem supply chain management helfen können, seinen Stellenwert innerhalb von Organisationen zu verbessern. Durch Investitionen in diese Bereiche können Unternehmen die Bedeutung von supply chain management erhöhen und dessen Wert für den Erhalt eines gesunden Geschäfts erkennen.

Vollständiges Transkript

Nicole Zint: Heute begrüßen wir erneut Professor Bram Desmet, um tiefer über sein bereits erklärtes supply chain-Dreieck hinauszugehen und zu betrachten, wie Strategie, supply chain und Finanzen, korrekt integriert, einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können. Bram, ich zitiere in der Tat den Titel deines neuen Buches über die strategiegetriebene supply chain. Können wir also damit beginnen, dass du uns eine kurze Einführung in deine Person gibst und uns auch erzählst, was dich dazu veranlasst hat, dieses Buch zu schreiben, seit wir das letzte Mal gesprochen haben?

Bram Desmet: Danke, Nicole. Vielen Dank für die Gelegenheit, hier zu sein und über das Buch zu sprechen. Also, eine kurze Vorstellung meiner Person: Ich begann meine Karriere in der IT, um festzustellen, dass IT für mich interessant als Mittel zum Zweck, jedoch nicht als Selbstzweck ist. Dann wechselte ich von der IT zur supply chain-Beratung. Ich stieß auf viele Projekte zur Inventaroptimierung und machte eine Promotion in diesem Bereich. Diese Promotion führte mich an die Vlerick Business School, wo ich begann, die quantitativeren Themen wie Statistik und Optimierungstechniken zu unterrichten.

Aus sowohl akademischer als auch beruflicher Perspektive begann ich, durch meine Tätigkeit in der supply chain-Beratung und dem Unterrichten von Statistik, einfache Fragen zu analysieren wie: “Wie viel Inventar benötigt ein Unternehmen wirklich?” Um diese Frage zu beantworten, stößt man auf die Finanzen, da diese sich mit dem Inventar befassen, weil Inventar ein Teil des Umlaufvermögens ist und das Umlaufvermögen Cash bedeutet. Außerdem muss man den Bezug zur Strategie herstellen, denn unterschiedliche Strategien führen zu unterschiedlichen Inventarniveaus. Ich sage oft: “Wer hätte das niedrigste Inventar, Aldi oder Carrefour?” Sicherlich Aldi, da sie ein kleineres Sortiment haben; im Grunde genommen ist ihre Strategie unterschiedlich. Also muss man, um diese Frage zu beantworten, auch einen Bezug zur Strategie herstellen.

Bevor ich es wusste, verband ich wirklich Strategie, Finanzen und supply chain, um dann festzustellen, dass sie in der Praxis häufig nicht miteinander verknüpft sind. Dies führte dazu, dass ich ein erstes Buch schrieb und nun dieses zweite Buch, in dem ich sagte: “Wenn Sie Ihre finanzielle Performance verbessern und Ihre Erfolgsquote bei der Umsetzung Ihrer Strategie erhöhen möchten, müssen Sie Strategie, finanzielle Kennzahlen und supply chain besser miteinander verbinden.” Man muss seine supply chain strategiegetriebener gestalten oder, anders ausgedrückt, seine Strategie supply chain-orientierter.

Bestimmt, mit COVID und nun dem post-COVID Ukraine-Russland-Krieg, denke ich, dass jeder CEO mehr denn je erkennt, dass wenn die supply chain nicht funktioniert, man schlichtweg kein Geschäft hat. Das ist vielleicht eine kurze, aber dennoch relevante Einführung.

Nicole Zint: Supply chain ist in der Tat das Rückgrat jedes Unternehmens. Und Bram, bevor wir in der Diskussion weitergehen, hast du unseren neuen Zuschauern bereits in der letzten Episode das supply chain-Dreieck erklärt. Könntest du uns zunächst eine kurze Zusammenfassung davon geben?

Nicole Zint: Was ist supply chain management? Üblicherweise spricht man von End-to-End, vom Kunden der Kunden bis zum Lieferanten des Lieferanten. Es geht um den Informationsfluss sowie den Fluss physischer Güter und Geldströme. Aber als ich mein erstes Buch schrieb, sagte ich, dass, wenn man sich anschaut, womit supply chain Managern wirklich zu kämpfen ist, es darum geht, das Dreieck von Service, Kosten und Cash auszubalancieren. Selbst wenn man COVID betrachtet, gab es einen Mangel an Rohstoffen oder Transport, was zu Serviceproblemen führte. Jetzt sehe ich, dass Unternehmen besorgt sind und sagen: “Hey, aber was, wenn es zu einem wirtschaftlichen Abschwung kommt, bevor all jene Bestände geliefert werden können, und dann haben wir ein Bestandsproblem statt eines Serviceproblems?” Aber der eigentliche Kampf, den ich in der supply chain gesehen habe, ist, dieses Dreieck von Service, Kosten und Cash auszubalancieren.

Bram Desmet: Das Feine daran ist, dass ich im ersten Buch begonnen habe, dies auch mit finanziellen Kennzahlen und der finanziellen Leistung zu verknüpfen, weil die Leute mich fragten: “Oh ja, Bram, ich verstehe, aber funktioniert das nicht so, wie Unternehmen arbeiten?” Wir müssen hier vorsichtig sein, denn wenn Service der Treiber für die Umsätze des Unternehmens ist, dann sieht ein Investor nicht nur auf den Umsatz; man will auch eine Marge sehen. Wenn man die Umsätze mit den Servicekosten und den weiteren Kosten kombiniert, gelangt man zur Marge. Und es geht nicht nur um die Marge; es geht um die Marge, die man im Verhältnis zum eingesetzten Kapital, zum Working Capital oder den investierten Sachanlagen erzielt. Das Ausbalancieren oder Optimieren dieses Dreiecks ist nicht optional, und es ist nicht einfach in Ordnung, wenn hier ein wenig Spannung herrscht. Die Spannung in diesem Dreieck berührt wirklich das Herz der Wertschöpfung eines Unternehmens.

So stellt das die supply chain in einen anderen Kontext, und ich denke, das ist das Feine, was dieses Dreieck bewirkt – was im ersten Buch dargestellt und im zweiten Buch bestätigt wird. In der Tat sind Service, Kosten und Cash im Dreieck der supply chain nicht voneinander unabhängig, und die Verbesserung eines Bereichs wird gleichermaßen etwas in einem anderen verringern. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein, um das letztendliche, gewinnmaximierende Gleichgewicht zu finden.

Nicole Zint: Richtig, Bram. Und außerdem hast du in deinem allerletzten Satz unserer vorherigen Episode gesagt, dass supply chain unabhängig vom S&OP-Prozess sein sollte, sodass der S&OP-Prozess supply chain nicht steuern sollte – was wir in der Tat häufig beobachten. Aber ich möchte dich fragen, was du damit gemeint hast, bevor wir uns der Strategie in der supply chain zuwenden und wie wir die richtige finden.

Bram Desmet: Im Allgemeinen sehe ich heute in den supply chain-Funktionen viele operative Tätigkeiten, wie Logistik und Kundenservice. Das Argument, das ich im zweiten Buch vertrete, ist, dass das Ausbalancieren des Dreiecks nicht optimal, sondern verpflichtend ist, weil es für die Wertschöpfung eines Unternehmens entscheidend ist.

Nicole Zint: Das Dreieck dreht sich um Wertschöpfung, und ich würde sagen, das beste Werkzeug, das supply chain heute hat, ist der SNLP-Prozess. Allerdings behaupte ich auch, dass der SNLP-Prozess nicht ausreicht, um das Dreieck auszubalancieren, da er eigentlich mit strategischen Überlegungen beginnt. Was ist meine Strategie? Willst du ein Total Solution Player sein? Dann wirst du ein breites Portfolio haben. Wenn du ein breites Portfolio hast, führt das zu Beständen, oder? Oder willst du der Niedrigkosten-Anbieter sein? Dann musst du dich auf Effizienz konzentrieren und das Portfolio genau prüfen. Das Ausbalancieren des Dreiecks beginnt aus einer strategischen Perspektive.

Joannes Vermorel: Heutzutage hat supply chain die Teilverantwortung, das Dreieck zu managen, da supply chain typischerweise den Bestandsanteil des Dreiecks verwaltet – und Bestände sind der komplexeste Teil. Supply chain trägt die Verantwortung, hat aber nicht die Mittel dazu. In meinem neuen Buch sage ich, dass SNLP nicht ausreicht. Supply chain sollte auch die Verantwortung für die strategische Planung übernehmen, und dann beginnt der Schweiß. Bedeutet das, dass supply chain die Strategie festlegen wird? Nein. Supply chain wird keine Strategie festlegen. Genau wie im SNLP-Prozess definiert supply chain nicht die Prognose – es ist der Vertrieb, der die Prognose besitzt.

Bram Desmet: Supply chain ist der Herausforderer, also stellt es im SNLP-Prozess sowohl die Nachfrage als auch das Angebot in Frage. Supply chain sollte auch auf strategischer Ebene hinterfragen und sagen: “Hey, glaubst du wirklich, dass du diese Volumina zu diesen Preisniveaus für diese Art von Produkt oder Markt erzwingen kannst? Das wird nicht passieren.” Oder auf der Angebotsseite: “Sind wir wirklich sicher, dass diese supply chain oder dieser Betrieb uns die nötige Flexibilität bietet, um hoch- oder herunterzufahren?” Supply chain sollte genau diese verbindende Rolle übernehmen, die es bereits im SNLP-Prozess spielt, aber es sollte auch die Verantwortung in der strategischen Planung übernehmen.

Joannes Vermorel: Meiner Meinung nach sollte supply chain auch in der Finanzplanung diese Verantwortung übernehmen – und da fängt es definitiv an, dass die Leute ins Schwitzen kommen. Was machen Unternehmen heute? Wir haben einen guten Planungsprozess, nämlich SNLP. Wir duplizieren diesen Prozess in der Finanzabteilung, in Financial Planning and Analysis (FP&A). Selbst wenn wir IBP gut durchführen, hat die Finanzabteilung immer noch ihre eigenen Planungstools und -prozesse. Dann verdreifachen wir den Aufwand, indem wir versuchen, beide zu integrieren. Wir haben sogar einen Namen dafür; es wird IBP genannt. Das macht keinen Sinn. Wenn man integrierte Pläne haben möchte, sollte man sie in eine Hand legen.

Bram Desmet: Supply chain ist dafür vielleicht nicht bereit, und die Finanzabteilung sicherlich auch nicht. Aber in meinem Buch sage ich, dass, wenn wir ein Gleichgewicht im Dreieck erreichen wollen, dies mit Strategie, Budgetierung, Finanzplanung und Zielvorgaben zu tun hat. Es hängt auch mit der operativen Planung und dem Nachfassen durch S&OP zusammen. Mein Vorschlag ist: Wenn man ein Gleichgewicht im Dreieck will, geschieht das nicht automatisch. Wenn man also Gleichgewicht will, muss man diese Verantwortung jemandem übertragen. Übertrage diese Verantwortung an supply chain und sorge dafür, dass supply chain – anstatt ein Tiger ohne Krallen oder Zähne zu sein – wirklich etwas in der Hand hat.

Nicole Zint: Dieser Effekt, durch die Bündelung der Planungsprozesse in eine Hand, und wenn es um Kundenservice oder Logistik geht – was, wie ich im Buch sage, operativ ist – entweder übergibt man das dem CEO oder dem Vertrieb. Wir müssen aber aus diesem Schwebezustand herauskommen, in dem wir für das Ausbalancieren des Dreiecks und die Bestände verantwortlich sind, aber nicht die notwendigen Mittel haben, und dann ständig an operativen Kennzahlen gemessen werden.

Bram Desmet: Ich würde S&OP bei supply chain belassen, aber die Durchführung der strategischen Planung und des Finanzplanungsprozesses hinzufügen und die rein operativen Aufgaben abgeben. Und dann fängt jeder an zu schwitzen, weil die supply chain-Mitarbeiter ihre Komfortzone verlassen müssen. Wir beklagen uns gerne über alles, was schief läuft, doch dann sollten wir die operativen Tätigkeiten hinter uns lassen, um eine anspruchsvollere Rolle zu übernehmen und unseren Platz am Führungstisch zu beanspruchen. Nicht jeder supply chain-Mitarbeiter ist dafür oder bereit dazu.

Nicole Zint: Joannes, was hältst du von dem, was Bram sagt, und wie siehst du die Rolle des S&OP in einem Unternehmen beziehungsweise, wie sollte sie sein?

Joannes Vermorel: Es ist sehr interessant. Es gibt ein allgemeines Gesetz, das vor etwa 40 Jahren in Bezug auf Organisationen entdeckt wurde, bekannt als das Gesetz von Conway – im Grunde die Idee, dass Unternehmen beim Entwickeln von Systemen die bereits vorhandenen Kommunikationsmuster, typischerweise in Softwaresystemen, replizieren, unabhängig davon, ob dies angesichts der modernen Werkzeuge, die heutige Computer bieten, wirklich angemessen ist. Ich würde sagen, es geht um Potenzial oder Möglichkeiten. Man steckt also in den alten Wegen fest. Aber wenn ich von S&OP spreche, sehe ich das als einen Weg, um im Wesentlichen Diskussionen zu organisieren.

Allerdings sind die supply chain von heute nicht die gleichen wie noch vor 50 Jahren. Es gibt viele Unternehmen – selbst relativ bescheidene Unternehmen müssen heutzutage zigtausende Produkte managen. Offensichtlich führt das dazu, dass für jedes einzelne Produkt etwa ein halbes Dutzend Entscheidungen pro Tag getroffen werden muss. Sehr schnell gelangt man in die Millionen von Entscheidungen pro Woche. Bei großen Unternehmen sind es buchstäblich zig Millionen Entscheidungen pro Tag. Und das wirft wirklich die Frage nach der Effizienz des S&OP-Prozesses auf, um letztendlich hochwertige Entscheidungen herbeizuführen.

Nicole Zint: Das, würde ich sagen, ist meine allererste Sorge bezüglich S&OP. Es geht im Wesentlichen darum, dass Entscheidungen schneller umgesetzt werden müssen, als S&OP kommunizieren kann. Was soll es überhaupt bringen, wenn Leute miteinander reden? Das ist der Kern. Und ja, wir wollen eine unternehmensweite Abstimmung, sodass nicht ein Bereich – wie der Vertrieb – sagt: “Oh, wir gehen in den Pharmasektor”, während die Produktion in eine völlig andere Richtung geht, also gar nicht denselben Markt bedient. Das mag karikaturistisch klingen, aber um eine grundlegende Abstimmung darüber zu erreichen, was wir anstreben, ist das in Ordnung. Allerdings neigen die S&OP-Prozesse dazu, in reine Routinetreffen zu verfallen, in denen–

Joannes Vermorel: Ich würde sagen, dass es viel Zeit, viel Aufwand und viele Menschen braucht, um tatsächlich die Art von Artefakten zu erstellen – Berichte, Zahlen, Kennzahlen, KPIs – die damit verbunden sind, ohne dass dies unbedingt in Euro oder Dollar an Rendite resultiert. So zeigt sich der Unterschied zwischen der Vor-Software-Welt und der Nach-Software-Welt: Heutzutage tun Menschen etwas idealerweise, um irgendeine Art von numerischem Rezept in der Organisation zu verbessern, und diese Rezepte laufen dann weiter und verrichten die mühsame Arbeit, Wert zu generieren. In den Fabriken gibt es seit langem Maschinen, die das tun. Die Idee ist, zu mechanisieren und zu automatisieren, sodass man einen produktiven Vermögenswert hat, der nicht zu sehr von den kontinuierlichen Anstrengungen der Menschen abhängt. Aber das funktioniert auch für Büroangestellte. Diese Denkweise, Anstrengungen in produktive Investitionen zu verwandeln, die eigenständig Wert generieren, gibt es bei Blue-Collar-Arbeitern seit über einem Jahrhundert. Das ist das Wesen der Mechanisierung. Aber bei White-Collar-Arbeitern geschieht dies im Wesentlichen seit vier Jahrzehnten mit Software in vielen Formen. Meine Kritik an der klassischen Form von S&OP ist also, dass sie eindeutig in einer Welt entstanden ist, in der Software quasi nicht existierte – dieses Denken, dass man Bürotätigkeiten mechanisieren und einen produktiven Vermögenswert für Entscheidungsprozesse aufbauen kann, war schlichtweg nicht vorhanden. Das ist ein Aspekt.

Joannes Vermorel: Ein weiterer Aspekt ist – und hier möchte ich auf das Dreieck und den zweiten Teil des Buches zurückkommen, der ein strategiegetriebener Aspekt ist, den Bram eingeführt hat – dass in der klassischen S&OP-Perspektive eine grundsätzlich oberflächliche quantitative Sichtweise herrscht, besonders wenn man Euro oder Dollar ins Spiel bringt. Wir haben S&OP, und in der Regel gibt es Leute, die, wenn sie an eine quantitative Bewertung denken,

Nicole Zint: geben, einfach die prozentualen Fehler in der Prognose an?

Joannes Vermorel: Ja, obwohl ich denke, dass es in der Anwendung sehr begrenzt ist. Wenn man sich die Genauigkeit der Prognose anschaut, hängt diese im Wesentlichen von der Granularität ab, die man hat. Verkauft man Produkte in einem Minimarkt einzeln, wird es unglaublich unbeständig sein. Verkauft man jedoch als Chemieproduzent, wird der Produktions- und Auftragsfluss vermutlich viel stabiler verlaufen.

Nicole Zint: Die zweite Kritik wäre also, dass Fehler ausbleiben, und ein Teil davon ist, dass auch die strategischen Zielvorgaben etwas fehlen. Das führt uns direkt zum zweiten Teil des Buches, der sich damit beschäftigt, was Ihr Unternehmen wirklich erreichen will und wie diese Strategie von supply chain umgesetzt wird. Wir kommen zu dieser Frage in sehr kurzer Zeit, aber bevor wir dazu kommen, möchte ich dich, Bram, fragen: Seit unserem letzten Gespräch hast du auch das Strategy-Driven Supply Chain Institute gegründet. Du hast erwähnt, dass dir ein Mangel an Wissen in der Führungsetage aufgefallen ist. Welches Wissen fehlt denn?

Bram Desmet: Um zu verdeutlichen, dass es an Wissen mangelt, führe ich oft eine Umfrage durch, die folgende Fragen stellt: 1) Was wäre die erste Investition für euren CEO und CFO – neue Kapazitäten, ein neues ERP oder ein neues Planungssystem? 2) Was denkt ihr, kostet am meisten – neue Kapazitäten, ein neues ERP oder ein neues Planungssystem? 3) Was, denkt ihr, hat den größten Einfluss auf das Ausbalancieren des supply chain-Dreiecks – neue Kapazitäten, ein neues ERP oder ein neues Planungssystem?

Wenn ich diese Fragen stelle, sagen die Leute, dass sie zuerst in neue Kapazitäten oder neue ERPs investieren würden, die bei weitem teurer sind. Aber wenn es darum geht, einen operativen Einfluss auf das Dreieck zu haben, hat das Planungssystem den größten Einfluss. Es ist etwas befremdlich, dass CEOs und CFOs nicht in Planungsprozesse und Planungssysteme investieren. Das ist meine Erfahrung. Sie würden lieber den Faktor 10 in neue Maschinen investieren, weil das sichtbar ist, oder in ein neues ERP, weil es erforderlich ist. Aber sie verstehen wirklich nicht, welchen Einfluss supply chain und supply chain planning auf das operative Ergebnis haben können. Sie haben auch keine Ahnung von den Änderungen in den Planungsanforderungen, falls sie ihre Geschäftsstrategie ändern.

Nicole Zint: Zum Beispiel sage ich zu Unternehmen, dass, wenn sie produktführend und innovationsgetrieben sind, sie wissen sollten, dass, wenn sie 10 new products einführen, davon sieben scheitern und drei ein durchschlagender Erfolg werden. Es ist extrem wichtig, dass sie in der Lage sind, für diese drei erfolgreichen Produkte zu skalieren, da deren Erfolg die sieben Misserfolge finanzieren und die Kosten für den Bestandsaufbau decken muss. Aber wenn ich frage, wie wir die supply chain hinsichtlich Effizienz und minimalen Kosten gestalten, sage ich, nein, das solltest du nicht tun. Und so haben wir die Strategie und dann…

Nicole Zint: Wir gestalten die supply chain. Ich behaupte auch oft, dass die Finanzabteilungen supply chain immer noch als ihre Lieblingszitrone ansehen – und Zitronen sind dazu da, ausgepresst zu werden, also für geringere Kosten und niedrigere Bestände. Ich halte das für töricht und unreif. Es gibt die riesige Aufgabe, Nicht-supply chain-Mitarbeiter darüber aufzuklären, wie das funktioniert. Es ist auch ein Problem bei den supply chain-Mitarbeitern, weil diese gerne über technische Dinge sprechen.

Bram Desmet: Ich sage oft zu den Leuten: Hört zu, wenn ihr S&OP verbessern wollt, redet nicht über S&OP. Sobald ihr über S&OP redet, werden sie sagen: “Hey, aber das ist euer Prozess, das ist euer Problem.” Also, redet nicht über S&OP, sondern über Business. Wie redet man über Business? Redet über das Dreieck und wie es mit finanziellem Wert verknüpft ist. Redet über die Strategie und sagt: “Okay, wer wollen wir auf dem Markt wirklich sein? Wie wollen wir uns differenzieren? Wie wollen wir auffallen?” Sobald dort Interesse geweckt ist, müsst ihr sagen: “Okay, wenn das unser Ziel ist, wird sich das auf unseren supply chain, die Kosten im supply chain, die Investitionen und die Puffer auswirken und hat Einfluss auf die Planungssysteme und -prozesse, die wir benötigen, um das zu realisieren.” Aber es ist, als hätten wir völlig aneinander vorbei kommuniziert. Wir lebten in getrennten Welten. Das Strategy-Driven Supply Chain Institute hat wirklich das Ziel, die Konzepte des Buchs zu nutzen, um das Wissensniveau und die Führungsteams zu verbessern – damit wir diese Themen mit einem anderen Blickwinkel oder einer anderen Brille betrachten und hoffentlich mehr Investitionen in supply chain und dessen Fähigkeiten lenken.

Nicole Zint: Es ist ziemlich interessant, dass du erwähnt hast, dass supply chain im Grunde nicht genug Beachtung findet, obwohl es eigentlich das ist, was bestimmt, wie profitabel ein Unternehmen sein kann. Das führt mich zu meinem nächsten Punkt, und das hast du ja, Bram, in beiden deiner Bücher angesprochen: Wie ein supply chain, der kein echter supply chain ist, oder ein Unternehmen, das Wachstum zeigt und auf dem Papier erfolgreich erscheint bzw. dessen Marke mittlerweile bekannt ist, ziemlich ungern irgendetwas ändert oder seinen supply chain verbessert, um ein besseres Gleichgewicht in diesem von dir erwähnten Dreieck zu finden – einfach weil: “Nun, wir sind erfolgreich, oder? Also muss unser supply chain offensichtlich auch erfolgreich sein.” Es ist also dieses stetige Übersehen der Bedeutung eines supply chain für ein Unternehmen. Joannes, ich weiß, dass wir das ziemlich oft sehen. Was denkst du dazu?

Joannes Vermorel: Bevor ich auf die Frage der relativen Bedeutung von supply chain gegenüber anderen Bereichen eingehe: Ein Aspekt, den ich an Brams wunderbarer Bemerkung aufgreife, ist, dass die Investitionen in ERPs im Vergleich zu fast allem anderen sehr interessant sind. Ich meine, natürlich bin ich voreingenommen, da ich selbst Softwareanbieter bin. Aber das Interessante ist, dass ERPs, die man eigentlich besser ERM – Enterprise Resource Management – nennen sollte, weil es in diesen Systemen im Grunde keine Planung gibt, sondern es nur um die Verwaltung von Datensätzen geht, Softwarestücke sind, die vier Jahrzehnte alt und im Wesentlichen völlig zu Commodities geworden sind. Zum Beispiel transaktionale Datenbanken, die früher von Oracle als ziemlich einzigartige Technologie verkauft wurden.

Nicole Zint: Heutzutage gibt es open source Datenbanken, die einfach exzellent sind. Sofern du nicht zig Millionen Transaktionen pro Sekunde hast, funktionieren open source Produkte einwandfrei. Bestandsmanagement oder einfach nur Record Management – also das Nachverfolgen, was herein- und herausgeht – ist, was die Software betrifft, völlig trivial. Es hat sogar einen Namen in der Softwareindustrie: CRUD (create, read, update, delete). Jede einzelne Operation, die du durchführst, besteht im Grunde darin, eine Zeile zu einer Tabelle hinzuzufügen, sie auszulesen, zu aktualisieren oder zu löschen. Dann gibt es noch rund 200 Bildschirme, um all deine Operationen zu unterstützen, aber im Wesentlichen ist das alles sehr commoditized, simpel und geradlinig. Heutzutage sind sowohl die Bausteine wie transaktionale Datenbanken buchstäblich open source, als auch Betriebssysteme und so ziemlich alles andere.

Joannes Vermorel: Der Punkt, den ich ansprechen möchte, ist, dass ich erwarten würde, dass Record Management etwa 5% der Investitionen erhält, während die übrigen 95% – die klugen Investitionen in alles, was intelligent darauf aufbaut, sei es in Menschen, Software oder was auch immer – fließen. Sozusagen das analytische Kraftpaket.

Bram Desmet: Analytisch oder, genauer gesagt, wirklich etwas, das darüber nachdenkt, was man tun sollte, anstatt einfach wie ein Buchhalter zu agieren.

Joannes Vermorel: Das Verrückte an ERP-Investitionen ist, dass ERPs nur aufgeblasene Buchhaltungssysteme sind. Für mich ist es unglaublich, dass Unternehmen im 21. Jahrhundert letztlich mehr Geld für elektronische Buchhaltung ausgeben, als sie es im 19. Jahrhundert taten, als alles per Hand gemacht wurde. Normalerweise hatten wir diese Systeme, um massive Produktivitätssteigerungen zu erzielen. Ein Computer kann buchstäblich Milliarden von Datensätzen verwalten – warum zahlen wir dann am Ende mehr für das System als früher, als es von Hand erledigt wurde? Ich übertreibe natürlich. Ja, Unternehmen haben im 19. Jahrhundert vielleicht weniger ausgegeben, aber ihr Sortiment war wahrscheinlich 100-mal kleiner. Es gibt viele Faktoren, wie etwa Compliance-Probleme, die damals weniger relevant waren.

Bram Desmet: Wie du gesagt hast, geben wir viel mehr für ERP aus als für Planung, weil Buchhaltung aus irgendeinem Grund als ein super komplexes System angesehen wird, obwohl sie in Wirklichkeit sehr trivial ist.

Joannes Vermorel: Ich denke, es hängt wirklich mit dem Wissen zusammen, das im Vorstand fehlt. Ich vermute stark, dass in vielen großen Unternehmen niemand im Vorstand wirklich anerkennt, was reine Commodity-Technologie ist – im Gegensatz zu differenzierenden, also was buchstäblich vier Jahrzehnte alte Commodity-Technologie von etwas tatsächlich Neuem und Innovativem trennt.

Nicole Zint: Offensichtlich gibt es zahlreiche Anbieter – Lokad ist einer davon – die versuchen, mit Schlagworten wie Cloud, KI, Blockchain oder was auch immer zu werben, und dabei das Wasser ganz schön trüben, was zu großer Verwirrung führt. Warum denkst du also, dass Unternehmen immer noch zögern, ihren supply chain zu analysieren und zu erkennen, wo das Problem liegt? Wie können wir es besser machen? Hängt das damit zusammen, was Bram gesagt hat, nämlich dass supply chain schlicht nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die es im Führungskreis benötigt? Dass es an Wissen mangelt, wie wichtig ein Planungssystem im Vergleich zu einem Transaktionssystem ist?

Joannes Vermorel: Einer der Gründe, warum viele Unternehmen ihren supply chain unterschätzen, ist, dass die Menschen und die Organisation in diesem Bereich nicht zur Elite gehören. In vielen großen Unternehmen landet man ganz unten im supply chain, wo Hunderte von Menschen den ganzen Tag über Excel-Tabellen durchklicken. Man startet seine Karriere im Unternehmen, indem man 1.000 SKUs zugewiesen bekommt, und man managt dann min und max des Bestands für diese SKUs im Mikromanagement. Man geht einmal täglich oder wöchentlich durch die Tabelle, immer wieder von vorn. Wenn man gut und zuverlässig ist, steigt man auf und wird Manager, der weitere Mitarbeiter anleitet, noch mehr Tabellen zu verwalten.

Vergleiche das mit dem Finanzbereich, wo man gleich zu Beginn als Trainee sehr strategische Aufgaben übernimmt, wie zum Beispiel die Unterstützung von Verhandlungen mit der Bank. Wenn man versucht, junge, talentierte Ingenieure zu gewinnen, die viele Jobangebote haben, könnte Option eins ein Unternehmen wie McKinsey mit extrem anspruchsvollen Herausforderungen sein, Option zwei eine Traineestelle im Finanzbereich, wo man bei großen Deals und sehr strategischen Verhandlungen mit der Bank assistiert, und supply chain, wo man vielleicht die ersten zwei Jahre lediglich eine Excel-Tabelle verwaltet.

Sobald das etabliert ist, fällt es dem Rest der Organisation schwer, echtes Talent zu erkennen, das hier angezogen und später befördert wird, weil die Stelle von vornherein nicht so attraktiv ist. Ich spreche von Einstiegspositionen, die es viel schwieriger machen, aufstrebende Chancen oder Talente hervorzubringen, die wirklich glänzen – Talente, bei denen das Unternehmen insgesamt sagt: “Ja, wir müssen dieser Person sehr strategische Aufgaben anvertrauen.”

Nicole Zint: Verantwortlichkeiten nach ein paar Jahren – man sieht wieder, was ganz unten geleistet wird – und fördert diese Tätigkeit wirklich das Talent, zukünftig vielleicht ein Vorstandsmitglied zu werden? Ich würde sagen, dass es in den meisten supply chain Unternehmen sehr oft so ist, dass diese Grundaufgabe keineswegs als Sprungbrett in eine strategische Position dient. Bram, ich möchte diese Episode beenden – wir nähern uns dem Ende – aber ich möchte sie mit einem meiner Lieblingssätze aus deinem Buch abschließen, in dem du sagst, dass Unternehmen nicht bankrottgehen, weil sie Verluste machen, sondern wegen fehlender Liquidität. Was genau ist damit gemeint?

Bram Desmet: Wenn man hinschaut, gibt es viele Start-up-Unternehmen, die in den ersten 10 oder 15 Jahren keinen Gewinn erwirtschaften und trotzdem nicht bankrottgehen. Warum? Weil Investoren kontinuierlich neues Geld einbringen. Solange man ausreichend Geld anziehen kann, geht man nicht bankrott – das erklärt bereits dieses Prinzip. Wenn man es umdreht, nicht für Start-ups, sondern für ein allgemeines Unternehmen, hat es mich wirklich lange gekostet zu verstehen, wie Finanzen den Bestand betrachten. Ich sage oft – und das sage ich auch den Finanzleuten –, dass die Finanzabteilung nichts vom Bestand versteht. Sie denken, er sei elastisch, als ob er sinkt, wenn man ihn drückt, aber sie stellen keine Verbindung her zu den Auswirkungen auf Service oder Kosten und sehen dieses Dreieck nicht.

Joannes Vermorel: Nein, das sehen sie nicht. Sie sehen das Dreieck nicht, und manchmal habe ich auch das Gefühl, dass sie es nicht sehen wollen oder gar nicht wissen wollen, weil es einfacher ist. Es fügt nur Komplexität hinzu, und sie haben eine sehr stimmige finanzielle Sichtweise. Was ich beobachtet habe, ist, dass Unternehmen sagen: “Hey, wir haben eine neue Übernahme gemacht – sie ist fremdfinanziert.” Plötzlich haben wir viel mehr Schulden aufgebaut. Dieser clevere Finanzabsolvent, der die großen Verhandlungen mit den Banken geführt hat, weiß, dass es bestimmte Vereinbarungen gibt, wonach der Kredit zurückgezahlt werden muss, und wenn man einen Kredit zurückzahlt, braucht man dafür Cashflow. Am Ende wird das Geld aus dem operativen Geschäft generiert, und entweder fließt es in Capex, in neue Investitionen, in das Umlaufvermögen oder in die Rückzahlung von Krediten, Zinsen oder Dividenden.

Bram Desmet: Das ist wirklich ein wesentlicher Treiber für die Finanzabteilung. Selbst wenn Unternehmen nicht bankrottgehen, was glaubst du, werden sie tun, wenn das operative Ergebnis enttäuscht? Sie reduzieren das Umlaufvermögen, also senken den Bestand, und denken nicht zu viel über die Auswirkungen auf Service oder Kosten nach. Nein, sie senken einfach den Bestand, stellen Capex ein, reduzieren Investitionen oder hören auf, die Banken zurückzuzahlen. Was glaubst du, hat dann Priorität? Wenn sie aufhören, die Banken zu bezahlen, ist das der schnellste Weg ins Aus – das ist wirklich das Letzte, was sie tun würden. Capex einzustellen ist nicht ideal, aber…

Nicole Zint: Nicht mehr in das Unternehmen zu investieren ist, als würde man das Wachstum stoppen – da werden sie wirklich ungern so vorgehen. Deshalb wird der Bestand in Mitleidenschaft gezogen, oder?

Joannes Vermorel: Ja, es ist immer der Bestand, der den Schlag abbekommt, und es ist genau das, was sie nicht verstehen. Deshalb sage ich auch oft, wenn die Finanzabteilung zum VP of Supply Chain sagt: “Hey, lieber VP of Supply Chain, jetzt wo du deinen VP-Titel hast, wird es Zeit, dass du dich für das Unternehmen nützlich machst. Du, der VP of Supply Chain, wirst den Bestand für mich, den CFO, um 30 % senken.” Und warum muss dieser Bestand gesenkt werden? In der Regel aus Gründen des Cashflows.

Bram Desmet: Cash flow ist als Kennzahl in der Finanzwelt so wichtig. Es hat wirklich lange gedauert – mit meinem zweiten Buch und durch Diskussionen mit ehemaligen CFOs – bis ich das begriffen habe. Selbst wenn Unternehmen also nicht bankrottgehen, ist der gesamte Cash flow und die Cash-Generierung eine enorme Einschränkung für das operative System und ein massiver Treiber.

Die Finanzabteilung definiert oft die Einschränkung, ohne den tatsächlichen Effekt oder Einfluss dieser Einschränkung zu tragen. Dieser Effekt wird in den meisten Fällen von den supply chain Leuten getragen – was in Ordnung ist, solange sie in bessere Planungssysteme und -fähigkeiten investieren. Und solange supply chain nicht länger als etwas Halboperatives betrachtet wird – wie “Mach einfach dein Ding und bring das Produkt irgendwie ans Ziel” – sondern mehr Respekt erhält und einen festeren Platz am Tisch bekommt, nicht nur in operativen, sondern auch in strategischen und finanziellen Diskussionen. Genau darauf will das Buch die supply chain Leute vorbereiten.

Nicole Zint: Bram, vielen Dank, dass du wieder einmal hier bei lokadtv dabei warst. Danke, dass ihr zugeschaltet habt, und wir sehen uns nächste Woche.